Erst zögerte der Impfstoffhersteller AstraZeneca, dann erklärte sich gestern Abend doch jemand aus dem Management dazu bereit, an einer weiteren Krisenkonferenz der EU teilzunehmen. Doch von einer Lösung ist man weit entfernt.

"Wir bedauern, dass es immer noch keine Klarheit über den Lieferplan gibt und erbitten uns von Astrazeneca einen klaren Plan zur schnellen Lieferung der Impfstoffe, die wir für das erste Quartal reserviert haben", erklärte Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides am Mittwochabend nach dem Krisentreffen mit Astrazeneca auf Twitter. "Wir werden mit dem Unternehmen zusammenarbeiten, um Lösungen zu finden und die Impfstoffe rasch für die EU-Bürger zu liefern." Sie lobte aber den konstruktiven Ton des Gesprächs mit Unternehmenschef Pascal Soriot, der sich persönlich zugeschaltet habe.

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Astrazeneca teilte mit, es habe ein "konstruktives und offenes Gespräch" über die Komplexität der Erhöhung bei der Impfstoff-Produktion und die Schwierigkeiten stattgefunden. Das Unternehmen habe eine noch engere Zusammenarbeit zugesagt, "um gemeinsam einen Weg für die Auslieferung unseres Impfstoffs in den kommenden Monaten aufzuzeichnen".

Die Haltung des britisch-schwedischen Konzerns wurde in Brüssel zuletzt als arrogant wahrgenommen – das Unternehmen, dessen Impfstoff noch diese Woche von der europäischen Arzneimittelbehörde EMA zugelassen werden soll und auf dem die Hoffnungen aller EU-Länder für breitenwirksame Impfkampagnen liegen, hatte die ausgehandelten Liefermengen für das erste Quartal drastisch reduziert und beruft sich dabei auf entsprechende Klauseln in den mit der EU geschlossenen Verträgen. Dort ist man nun – zumal der Druck und die Vorwürfe aus den Mitgliedsländern zunehmen – auf Gegenkurs. Die Wortwahl wird aggressiver.

Nur ein Viertel soll geliefert werden

Mehr als 100 Millionen Impfdosen hatte AstraZeneca für das erste Quartal versprochen, nun sollen es gerade einmal 31 Millionen werden. In Zeitungsinterviews hatte AZ-Chef Pascal Soriot erklärt, bei einer der beiden Anlagen in Belgien und den Niederlanden sei der Ertrag unerwartet niedrig. Sein Unternehmen sei vertraglich nicht zur Lieferung bestimmter Mengen verpflichtet. Vielmehr habe man nur einen „Best Effort“ zugesagt, sich also im besten Sinne zu bemühen. In Großbritannien habe es anfangs auch Schwierigkeiten gegeben. „Aber der Vertrag mit den Briten wurde drei Monate vor dem mit Brüssel geschlossen.“ Die Anlagen mit der niedrigsten Produktivität lägen nun einmal in Europa.

Diese Darstellung weist die EU-Kommission empört zurück: Das „Best Effort“-Argument sei nichts weiter als eine „Nebelkerze“. So eine Klausel gebe es im Vertrag, weil der Impfstoff bei Vertragsabschluss noch nicht entwickelt oder zugelassen gewesen sei, und sie beziehe sich ausschließlich auf einen Erfolg. Die vereinbarten, auch die vorproduzierten, Mengen seien zu liefern.

Die EU will nun anhand von Ausfuhrzertifikaten überprüfen, ob der produzierte Impfstoff nicht einfach „umgeleitet“ und an besser zahlende Kunden im Ausland verkauft wurde. Eine EU-Diplomatin sagte, derzeit lägen keinerlei Angaben darüber vor, wie es um die Liefermengen für das zweite Quartal bestellt sei: „Da ist nur Finsternis.“ Im Gegensatz zu dem, was der AstraZeneca-Chef sage, seien auch die Anlagen des Impfstoffherstellers in Großbritannien keine Back-up-Anlagen, so die EU-Kommission weiter. Der Vertrag lege auch nicht fest, dass Großbritannien Vorrang habe, weil es früher unterschrieben habe. „Unser Vertrag sieht einen klaren Lieferzeitplan pro Quartal vor“, heißt es in der Kommission. Sie will nun den Hersteller dazu bringen, die Vertragsdetails zu veröffentlichen. Ohne dessen Einverständnis ist das nicht möglich. Die EU hatte im August bis zu 400 Millionen Impfdosen von AstraZeneca bestellt und 336 Millionen Euro für Entwicklung und Fertigung vorgestreckt. Nach Darstellung der EU-Kommission hätte AstraZeneca seit Oktober auf Vorrat produzieren müssen, damit der Impfstoff sofort nach der Zulassung bereitsteht.

Mit scharfen Worten reagierte gestern Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides: „Jeden Tag sterben Menschen, das sind nicht nur Zahlen in einer Statistik. Pharmafirmen haben eine moralische, soziale und vertragliche Verantwortung.“ Auf die Frage, ob die EU nicht zu spät nach Großbritannien verhandelt habe, sagte Kyriakides: Im Vertrag sei ein fixer Zeitplan vereinbart worden, der zu erfüllen sei.

AstraZeneca, das nach Biontech und Moderna den dritten zugelassenen Impfstoff hätte, will nun seine Produktion über ein anderes Unternehmen in Japan ausweiten. Gestern wurde auch bekannt, dass der französische Pharmariese Sanofi seinen Konkurrenten Biontech/Pfizer bei der Produktion ihres Impfstoffs helfen will. Das eigene Mittel dürfte sich noch bis Ende des Jahres verzögern.