Morgen ist Weihnachten, das Fest der Nächstenliebe. Diese reicht heuer allerdings nicht über die eigenen Grenzen hinaus. Trotz vorhandener Bereitschaft will die Bundesregierung nach wie vor keine Flüchtlinge von der griechischen Insel Lesbos aufnehmen. Die ÖVP setzt stattdessen weiter auf Hilfe vor Ort, ungeachtet der katastrophalen Zustände. Umso lauter forderten gestern zahlreiche Prominente einmal mehr einen Kurswechsel – und stellten ein Zelt am Ballhausplatz auf.
Emotionaler Promi-Protest am Ballhausplatz
"Das Soziale geht mir schon Jahrzehnte ab, aber das Christliche habe ich ihnen noch geglaubt“, singt der Wiener Liedermacher Ernst Molden in Richtung Bundeskanzleramt. Burgschauspieler Cornelius Obonya hält ihm während seines Abgesangs auf die ÖVP den Regenschirm, der Neos-Abgeordnete Sepp Schellhorn das Mikrofon. Es ist nass und grau, als sich gestern prominente Unterstützende, Politikerinnen und Politiker zu einer Kundgebung am Ballhausplatz versammelten. Die zentrale Forderung: Geflüchtete, vor allem Kinder, aus den griechischen Lagern aufzunehmen.
Am Mittwoch, einen Tag vor Weihnachten, drängten noch einmal zahlreiche Kulturschaffende in einem flammenden Appell die Bundesregierung zur Aufnahme von Flüchtlingen aus den griechischen Lagern. "Wir Kunst- und Kulturschaffende setzen uns ein für eine Kultur des Mitgefühls, der Menschlichkeit und der Hoffnung. Deshalb fordern wir die Evakuierung des Camps Kara Tepe. Jetzt!", heißt es in dem am Mittwoch verbreiteten Schreiben.
Leitartikel von Hubert Patterer
Bis dato haben den Offenen Brief über 600 Personen unterzeichnet, darunter Prominente wie Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek, ihre Autorenkollegen Daniel Glattauer, Michael Köhlmeier und Robert Menasse, Komponistin Johanna Doderer und Friedrich Cerha, die Schauspielerinnen Andrea Eckert, Pia Hierzegger und Birgit Minichmayr, die Künstlerin Eva Schlögl, Kabarettist Lukas Resetarits oder Moderatorin Chris Lohner. Initiiert wurde die Aktion von Heidrun Primas, Leiterin des Grazer Forum Stadtpark, die seit dem 6. Dezember in Kara Tepe auf Lesbos ehrenamtliche Arbeit leistet.
Appell an Regierung
"Nehmen wir in Österreich Menschen aus dem Camp Kara Tepe auf, so, wie es sich viele Bürgermeister*innen mit ihren Gemeinden zutrauen, samt Verantwortung für friedensstiftende Integrationsmaßnahmen, die auch jene Menschen erreichen, die sich durch die Aufnahme von Geflüchteten bedroht fühlen", heißt in dem Appell. Es gehe um ein europäisches Zeichen der Solidarität mit der Bevölkerung von Griechenland und den Geflüchteten: "Lesbos steht stellvertretend für viele menschenunwürdige Situationen an den Grenzen Europas. Überall dort braucht es eine Kultur des hoffnungsstiftenden gemeinsamen Handelns."
„Wir haben lange genug zugesehen“, sagte einen Tag zuvor Ex-Fußball-Nationalspieler Marc Janko am Ballhausplatz. Er appellierte „nicht an Parteifarben, sondern an die Menschlichkeit“. Joseph Hader, Florian Scheuba, André Heller, die Autorin Julia Rabinovich, ihr Berufskollege Doron Rabinovici – sie alle arbeiteten sich vor allem an der ÖVP und Bundeskanzler Sebastian Kurz ab. Fehlenden menschlichen Anstand attestierte etwa Percussionist Martin Grubinger dem Bundeskanzler, Kabarettist Thomas Maurer bezeichnete den Bundeskanzler als „empathielosen Zyniker“.
Stadtpolitik appelliert an Bundesregierung
Die Wortspenden der Anwesenden waren emotional und bewusst kurz, denn „der Worte wurden genug gewechselt“, sagt Schauspieler Cornelius Obonya im Interview mit Wien.Memo. „Retten statt reden“ so das Motto der Solidaritätsaktion. Initiiert wurde sie vom Verein Courage – dem Obonya angehört – und Neos-Nationalratsabgeordneten Sepp Schellhorn. Dementsprechend breit aufgestellt erschienen die Neos zur gestrigen Aktion. Der Wiener Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr (Neos) hält insbesondere die von der ÖVP geplante Kinderbetreuungseinrichtung auf Lesbos für zynisch: „Wenn Kinder angebissen werden und im Dreck schlafen, dann geht es nicht um Kinderbetreuung sondern darum, die Lager zu evakuieren.“ Eine „hirnrissige Aktion“ nennt auch Obonya das Vorhaben. Und schließlich appellierte Wiens Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler (SPÖ) an die Bundesregierung, zumindest Wien die Aufnahme von Flüchtlingen zu erlauben.
Blümel für Hilfe vor Ort, "sonst kommen immer mehr"
Schon in den letzten Tagen verhärtete sich die Front gegen den Kurs der Bundesregierung. Bundespräsident Alexander van der Bellen, kirchliche Organisationen, Hilfsorganisationen, ÖVP-Bürgermeister und jetzt auch zahlreiche Prominente – sie alle forderten eine Flüchtlingsaufnahme, zumindest von Familien und Kindern. Selbst Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) hat in einer gestrigen Aussendung das Wort gegen den Koalitionspartner gerichtet und plädiert für die Aufnahme von 100 Flüchtlingsfamilien aus Lesbos. Es gehe darum, Erste Hilfe zu leisten. „Da fällt der türkisen Hälfte kein Zacken aus der Krone.“ Den Koalitionspartner überzeugen konnte man aber bisher offenkundig noch nicht. Im Gegenteil, Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) verwies in einem Interview mit Wien Heute erneut auf die Hilfe vor Ort als „das richtige Instrument, sonst kommen immer mehr“.
"Wenn ein Kind stirbt, sollten wir uns zu Tode schämen"
Im Mittelpunkt der gestrigen Kundgebung stand auch ein Zelt, das am Ballhausplatz aufgebaut wurde. Mit Wünschen und Forderungen signiert, soll das Zelt versteigert werden. Der Erlös kommt Hilfsorganisationen vor Ort zugute. „Dieses Zelt schützt nicht vor Überschwemmungen, Kälte, Ratten und Schlangen. Das ist die Realität in der Menschen jetzt gerade leben“, sagt Cornelius Obonya. An sogenannte Push- und Pull-Effekte glaubt er nicht: „Migration passiert. Und man kann sich jetzt entscheiden, auf der richtigen Seite zu stehen oder Leute sterben zu lassen, so einfach ist es.“ Eines sei aber klar: „Die Temperaturen sinken und wenn auch nur ein einziges Kind stirbt, sollten wir uns zu Tode schämen.“
Ambra Schuster