"Es ist sehr schwierig, eine gute Impfstrategie zu entwickeln, ohne dass alle Daten dazu auf dem Tisch liegen", sagte der Leiter der Universitätsklinik für Klinische Pharmakologie der MedUni Wien, Markus Zeitlinger, zur APA. Zu dem am Dienstag präsentierten geplanten Vorgehen in Österreich gebe es noch viele Fragezeichen. Man müsse aber mit der Planung beginnen und brauche "eigentlich verschiedene Szenarien". Zudem brauche es nun mehr Covid-19-Impfaufklärung, so der Experte.
Es werde Unterschiede zwischen den Impfstoffen selbst oder bei ihrer Zulassung (Label) geben. So stelle sich die Frage, ob man sich auch dazu entschließt "Off-Label" zu impfen, also mit Vakzinen in Personen- oder Altersgruppen zu gehen, für die noch weniger Daten vorliegen. Insgesamt wäre es für den Internisten "viel besser, wenn die Firmen tatsächlich die Daten auf den Tisch legen", damit sich jedes Land selbst überlegen könne, wie die Informationen zu den regionalen Begebenheiten, was etwa die Bevölkerungsstruktur betrifft, passen. "Es ist aber nicht sicher, ob sie das machen. Sie müssen es nicht", sagte der Experte.
Darüber hinaus ist noch nicht klar, zu welchem Zeitpunkt welche Mengen, welches Impfstoffes in Österreich zur Verfügung stehen. Daher müssten mehrere Pläne vorliegen, die dann - je nach tatsächlicher Verfügbarkeit - abgewogen werden.
Dass zuerst Menschen in Alters- und Pflegeheimen und im Pflegebereich insgesamt geimpft werden sollen, könne er viel abgewinnen, so Zeitlinger. Hier gehe es um 120.000 bis 130.000 Menschen. Bei zwei Impfdosen und dem Wunsch nach 50 Prozent Durchimpfungsrate ist das auch die dort benötigte Anzahl an Dosen. Diese Menge werde es vermutlich recht bald hierzulande geben. Es bleiben Fragen danach, wie wirksam die Vakzine bei älteren Menschen dann sind und schlussendlich, wie lange die Immunität besteht.
Neben dem "eindeutigen 'Ja' zum Pflegebereich" begrüßt Zeitlinger auch die Idee, sehr rasch das medizinische Personal zu impfen. Etwas vorsichtiger ist seine Einschätzung zum Ansinnen, möglichst alle Über-65-Jährigen zu impfen. Möchte man hier - Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) folgend - wieder 50 Prozent Durchimpfung erreichen, bräuchte es rund 1,6 Millionen Dosen. Diese Menge werde eher nicht vor Ende des Winters da sein, vermutet Zeitlinger.
Spätestens wenn dann die kalte Jahreszeit vorbei ist, und sich der "Wintervirus" SARS-CoV-2 etwas zurückzieht, kommt auch der Frage nach der Impfbereitschaft noch mehr Bedeutung zu. Es brauche "Aufklärung, Aufklärung und nochmals Aufklärung", so der Experte. In den vergangenen Monaten hätten Impfstoffgegner leider viel Zeit gehabt, sich zu formieren. Es brauche hier auch eine mediale Abgrenzung zu Verschwörungstheoretikern und eine Diskussion darüber, "wo die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit anfängt".
Eine Impfpflicht gebe die Gesetzeslage nicht her, betonte Zeitlinger. Es gebe aber auch indirekte Anreize, wie etwa den Nachweis einer Impfung vor Antritt von Reisen: "Auch heute braucht man Impfungen, wenn man in gewisse Länder fliegen möchte." Sich impfen zu lassen oder einen aktuellen negativen Tests vorzulegen, bevor man etwa in ein Altersheim geht, sei auch eine "Frage der sozialen Verantwortung".