Die bisher größte Studie zur Effektivität von Corona-Maßnahmen kommt aus Wien – genauer genommen aus dem Complexity Science Hub Vienna, einer Forschungsgruppe, die sich mit der Untersuchung großer Datenmengen beschäftigt. Die Wissenschafter dort haben knapp 4600 Maßnahmen aus inzwischen mehr als 200 Staaten verglichen – und sie kamen zum Schluss: Der totale Lockdown ist zum Eindämmen der Reproduktionszahl nur mäßig effektiv, aber je früher und effektiver einzelne Gegenmaßnahmen erfolgten, desto mehr Wirkung könne man erzielen.
Trotzdem kam es zu diesem zweiten Lockdown, und der Hauptautor der Studie, Peter Klimek, trat heute ab 10 Uhr gemeinsam mit Gesundheitsminister Rudolf Anschober vor die Presse, um über die Sinnhaftigkeit der aktuellen und weiterer Corona-Maßnahmen Auskunft zu geben.
Schön langsam beginne der Teil-Lockdown zu wirken, so Anschober. "Aber die Zahl der Neuinfektionen ist immer noch dramatisch hoch". Zumal, wie an jedem Montag, noch das Wochenende nachwirke und mit vielen Nachmeldungen zusätzlich zu den derzeit registrierten 3.145 Neuinfektionen innerhalb der letzten 24 Stunden zu rechnen sei. Sorge bereite auch das Plus von 71 bei den Todesfällen und von 90 bei den Hospitalisierungen. 685 Menschen würden derzeit intensivmedizinisch betreut. Im Bereich der Alten- und Pflegeheime verzeichne man derzeit 2748 aktive Fälle, ein ganz leichter Rückgang, aber ein Plus von 11 bei den Todesfällen. Insgesamt seien bisher 944 Menschen in Alten- und Pflegeheimen an und mit Corona gestorben.
Nun hoffe man auf die Wirkung der jüngsten Maßnahmen, des umfangreicheren Lockdowns. "Jetzt kommt alles auf die nächsten zwei Wochen an". Anschober wiederholte insbesondere seinen Appell an die Firmen, weitestgehend Home-Office zu ermöglichen. Entscheidend für die Öffnung nach dem 6. Dezember werde der Trend sein. Man hofft auf ein Sinken des Reproduktionsfaktors, angepeilt werde ein Wert "deutlich unter 0,9".
Was wirkt, was nicht?
Auf die Rechenmodelle Klimeks geht unter anderem die Erkenntnis zurück, dass auch die Schließungen von Schulen, Kindergärten und Unis sehr wirksam seien - nicht nur wegen der direkten Ansteckungsgefahr, sondern vor allem wegen der Reduktion der Bewegungen.
Hier die Effektivität der Maßnahmen, laut Klimek, im Vergleich über alle Länder, mit den effektivsten Maßnahmen zuerst:
- Restriktionen bei Zusammentreffen von Gruppen mit weniger als 50 Leuten: Gastronomie, Home-Office, Treffen im privaten Bereich, Hochzeiten, Begräbnisse, Familienfeiern, etc.
- Schließung von Ausbildungsstätten
- Maßnahmen wie Grenzschließungen, Einschränkungen der Bewegungsfreiheit, Ausgangssperren, Schutzzonen
- Stärkung von Gesundheitseinrichtungen: von der Schutzkleidung bis hin zum Contact Tracing
- Risikokommunikation: Information der Öffentlichkeit, Kommunikation direkt über lokale Stake Holders
Die dritte Welle
Im Vergleich zwischen verpflichtenden Maßnahmen und Empfehlungen kam die Studie zum Schluss, dass Empfehlungen nur eine etwas geringere Bremswirkung zur Folge hätten, also auch ein sehr taugliches Mittel seien. Klimek mit Blick auf eine mögliche dritte Welle: "Je früher einzelne Maßnahmen gesetzt werden, desto softer kann der Lockdown sein." Entscheidung sei dabei nicht nur das Timing, sondern dass rasch auch regional gegengesteuert werde. "Es gibt nicht DIE eine richtige Maßnahme, sondern es braucht einen intelligenten Mix und eine gezielte Risikokommunikation."
Im internationalen Vergleich weniger effektiv seien übrigens Maßnahmen im Bereich des Öffentlichen Verkehrs, vermutlich, weil die Menschen dort ohnehin vorsichtiger seinen bzw. auch nicht so lange und so intensiv auf Tuchfühlung miteinander seien, sowie die Maßnahmen zur Reinigung von Oberflächen.
Schutzkonzept für Zeit danach
Jede Lockerung der Maßnahmen erhöhe das Risiko einer dritten Welle, warnte Klimek. Anschober ergänzt, nach dem 6. Dezember werde nicht alles wie früher sein, sondern man arbeite an einem detaillierten Schutzkonzept insbesondere in Bezug auf folgende Aspekte:
- Schutz der Bevölkerung 65+, nicht nur in Heimen
- Verstärkung des Einsatzes der Stopp-Corona-App, "die zunehmend jetzt auch genützt wird"
- Ausbau des Contact Tracing mit Personalaufstockungen und Digitalisierungsschritten
Ausgang für den Nikolo?
Einzelne Politiker nehmen indes Rufe aus der Bevölkerung nach dem Nikolo auch in Corona-Zeiten auf: In Tirol schlagen Neos und FPÖ vor, der Nikolo könnte etwa "kontaktlos an den Häusern vorbeiziehen, den Kindern zuwinken und seine Gaben an der Türe hinterlassen" oder "Personen, die einen negativen Test nachweisen können, könnten als Nikolaus-Darsteller die Familien auf der Straße oder im Garten besuchen", so die FPÖ.
Formaljuristisch darf der Nikolo derzeit nicht außer Haus gehen - es brauche eine "Handlungsanweisung", was erlaubt ist, und was nicht - zumal sich möglicherweise schon am 7. Dezember wieder jeder frei bewegen könne.
Anschober lässt hoffen, aber nur ganz leise: "Ich will hier keine zu großen Hoffnungen erwecken." Aber "der von mir sehr geschätzte Nikolaus" bzw. sein Auftreten sei "Teil unseres Öffnungskonzeptes". Genau darüber denke man derzeit intensiv nach: Wie die Öffnung in Schritten erfolgen könne, ob der Auftritt des Nikolos ein Teil davon sein könne. "Wir warten die Zahlen diese Woche ab, schauen, wie sich der harte Lockdown auswirkt."
Massentests in Kooperation mit Ländern
Vertreter der Bundesregierung beraten Montagabend mit Landeshauptleuten und Gemeindevertretern das weitere Vorgehen bei den Corona-Massentests. An der Videokonferenz um 20.00 Uhr nehmen neben Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) auch Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne), Bildungsminister Heinz Faßmann und Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (beide ÖVP) teil. Ziel der Abstimmung mit den Ländern ist ein koordiniertes Vorgehen mit den jeweiligen Gesundheitsbehörden.
Zuletzt hatten sich die Gesundheitsreferenten am Freitag mit Anschober zu den Antigen-Massentests beraten. Sie forderten dabei rasch ein entsprechendes Konzept und den parallelen Ausbau der Infrastruktur. "Mit der aktuellen, extrem belasteten Struktur von Personal über Logistik bis hin zu IT wird das nicht machbar sein", sagte der Salzburger Landeshauptmannstellvertreter Christian Stöckl (ÖVP), derzeit Vorsitzender der Gesundheitsreferenten.
Anschober bestätigte, dass der große Erfolg in Südtirol vor allem auf die gute Kooperation mit den lokalen Behörden zurückzuführen sei.
Impfen nicht Lösung, aber Hebel
Zum Thema Impfen sagte Anschober, es freue ihn sehr, dass sich seine Prognose, wonach im Jänner vermutlich ein Impfstoff zur Verfügung stehe, offensichtlich erfülle. "Das ist noch nicht die Lösung, aber ein Hebel, eine Perspektive für die Risikoreduktion". Der gesamte Impfprozess sei ein riesiges Unterfangen. Es werde nicht vom ersten Tage an der gesamte Impfstoff zur Verfügung stehen, gleichzeitig sei zu hoffen, "dass möglichst viele mitmachen".
Claudia Gigler