Der Marathon des österreichischen Gesundheitsministers geht in die nächste Runde: Seit einem halben Jahr ist Rudolf Anschober (Grüne) im Corona-Dauereinsatz. Am Samstag verkündete die Regierung den zweiten Lockdown, der mit dem morgigen Dienstag, 0 Uhr in Kraft tritt.
Warum man sich dazu entschlossen hat und wie sich die Zahlen entwickeln, will Anschober bei einer Pressekonferenz zur "Aktuellen Corona-Lage" erörtern, gemeinsam mit dem Infektiologen Herwig Kollaritsch, dem Intensivmediziner Klaus Markstaller und Virologin Monika Redlberger-Fritz.
4135 Neuinfektionen - das ist keine Entspannung, so Gesundheitminister Rudolf Anschober, auch wenn der Spitzenwert (am 30. Oktober) schon einmal bei 5.627 Fällen lag. Am Wochenende gebe es immer einen Verzögerungseffekt bei den Einmeldungen, so Anschober.
Alarmierend sei insbesondere der Anstieg bei den Hospitalisierungen (plus 62% im Vergleich zur Vorwoche) und bei der Belegung der Intensivbetten (plus 78%).
Das einzige, sinnvolle Gegenmittel: Die Zahl der Kontakte zu reduzieren, "daher sieht das Maßnahmenpaket so aus wie es aussieht". Österreich steuere auf eine Krisensituation im Gesundheitswesen zu. Dass jetzt möglichst viele Menschen mitmachen und zueinander auf Distanz gehen, sei entscheidend. "Das ist jetzt alternativlos. Wir können das ein zweites Mal schaffen."
Wirken würden die Maßnahmen erst in zehn Tagen, für die kommenden Tagen dürfe man daher keine zu großen Erwartungen haben. Schon das letzte Maßnahmenpaket, mit der 6-er bzw. 12-er Regel für Zusammenkünfte könnte allerdings in rund einer Woche Ergebnisse zeigen. Anschober: "Es ist gut, jetzt einen großen Wurf zu realisieren, die Notbremse zu ziehen, und nicht weiter in Etappen vorzugehen."
Infektiologe Herwig Kollaritsch erläuterte die Eckpunkte der Herausforderungen:
- Die Reproduktionszahl liege derzeit weit über 1. Wenn es gelinge, sie auf 0,9 zu drücken, bedeutet das, dass es drei Monate dauert, bis die Zahl der Infizierten auf 90 Prozent sinkt. Wenn die Reproduktionszahl nur 0,5 beträgt, gelingt das innerhalb von zwei Wochen. Diese Zahlen habe der Experte Florian Stiegler aus Graz errechnet.
- Israel habe Erfolg gehabt mit seinem zweiten Lockdown. Man habe nun wieder eine epidemologisch günstigere Situation, wisse aber, dass sich das auch jederzeit wieder ändern könne. "Wir wissen, das wir uns über die bevorstehende kühlere Situation nur in Wellen drüberretten können."
- Selbst, wenn es im Laufe des nächsten halben Jahres einen Impfstoff gibt, sei das Problem nicht erledigt: Es könnte ein Impfstoff sein, der vulnerable Gruppen schützt, aber die Krankheit nicht verdrängt, es könnte aber auch ein Impfstoff sein, der die Übertragung der Krankheit durch einen Geimpften verhindert, wie etwa bei der Masernimpfung. Erst dies würde letztlich auch zu einer Herdenimmunität führen.
- Die neuen Impfstoffe ("es werden mehrere sein") werden aber auf jeden Fall nicht zu 99 Prozent effektiv sein, wie etwa die FSME-Impfung, sondern maximal zu 70 Prozent.
- Auf jeden Fall sei klar: Abstandsregel und Maskenpflicht werden uns noch lange Zeit begleiten.
Virologin Monika Redlberger-Fritz erläuterte den "Beweis" für die epidemische Entwicklung: Es würden regelmäßig (auch in Nicht-Corona-Zeiten) von 250 Ärzten quer durch Österreich Abstriche von Patienten mit Husten, Schnupfen, Halsweh oder erhöhter Temperatur gemacht.
- Zu Beginn der Covid-19-Krise seinen 5 Prozent dieser Proben corona-positiv gewesen,
- vorletzte Woche 21 Prozent,
- in der vergangenen Woche 40 Prozent.
Ab dem 20. Oktober habe der sprunghafte Anstieg begonnen. Die Gründe für diesen gewaltigen Sprung sind nicht bekannt. Das höhere Ausgangsniveau und die kühlere Jahreszeit seien nur ein Teil der Erklärung. Anschober betonte, in der Impfstoff-Frage handle Europa länderübergreifend. Es werde noch dauern, bis die ersten Impfstoffe zugelassen seien. "Dann kann es aber sehr schnell gehen."
Intensivmediziner Klaus Markstaller betonte, die Spitäler seien ein sicherer Ort. Es gebe praktisch keine Ansteckungen im Bereich des Personals und der Patienten. Es gebe ausreichend Schutzausrüstung, und die Erfahrung im Umgang mit der Krankheit und die Sorgfalt seien groß.
Zuletzt hatte die Gewerkschaft Alarm geschlagen und gemeint, das offenbar auch positiv getestete Personen noch Dienst in Alten- und Pflegeheimen machen müssten. Anschober betonte: "Da gehen wir kein Risiko ein." Man müsse unterscheiden zwischen Personen, an deren Blutbild noch erkennbar sei, dass sie Corona gehabt haben, und Personen, die noch ansteckungsfähig sind.
Ein Wettlauf mit der Zeit
Bei der Sitzung des Hauptausschusses im Parlament am Sonntag hatte sich Anschober optimistisch gezeigt, dass es mit den Maßnahmen gelingen werde, die Infektionszahlen in Österreich zunächst zu stabilisieren und dann schrittweise wieder abzusenken. Er verwies darauf, dass die Verordnung "in Rekordtempo" umgesetzt werde. Und das sei auch "absolut notwendig, denn es ist ein Wettlauf mit der Zeit, dass die Maßnahmen rechtzeitig wirken, bevor Österreichs Intensivstationen überlastet sind".
Die Tiroler Intensivmedizinerin Barbara Friesenecker von der MedUni Innsbruck hat am Sonntagabend zur Coronakrise klargestellt, dass das größte Problem im Intensivbereich die Personalzahl ist. Gerade die Betreuung von Covid-19-Intensivpatienten ist sehr aufwendig, schilderte sie in der ORF-Sendung "Im Zentrum". "Es braucht eine sehr hohe Pflegeexpertise", konstatierte Friesenecker.
Engstelle Personal
"Es ist eher anzunehmen, bevor uns die Ressourcen und die Betten ausgehen, gehen uns die Personen aus, die solche Patienten auch betreuen können", sagte Friesenecker, auch Vorsitzende der ARGE Ethik in der Anästhesie und Intensivmedizin. "Wir sind nicht so ausgelegt, dass wir eine Pandemie bevorraten können. Wir sind so ausgelegt, dass wir im Normalbetrieb sehr knapp sind." Die Ärztin sagte, dass ein länderübergreifender Koordinator für Intensivplätze in der Zeit der Pandemie "sehr gut wäre".
Friesenecker warnte auch vor Überlegungen, im medizinischen Bereich oder auch in Alters- und Pflegeheimen Menschen arbeiten zu lassen, die zwar das Coronavirus laut einem PCR-Test noch in sich tragen, aber deren Ct-Wert nachweist, dass sie nicht infektiös sind. "Das halte ich für ausgesprochen riskant", betonte die Intensivmedizinerin. Man setze diese Menschen der Gefahr aus, dass sie durch die Arbeit krank würden, indem sie am Arbeitsplatz weiter belastet würden.
Claudia Gigler