Als Präsidentschaftskandidat der US-Republikaner machte Donald Trump Anfang 2016 einen Scherz, der einen wahren Kern in sich trug. "Ich könnte mitten auf der Fifth Avenue stehen und jemanden erschießen, und ich würde keine Wähler verlieren, okay? Es ist einfach unglaublich", sagte er bei einem Wahlkampfauftritt in Sioux City im US-Staat Iowa.
Trump hat zwar niemanden erschossen. Aber allein schon die anderen Vorwürfe, die gegen ihn erhoben wurden, hätten bei vielen Politikern zum Rücktritt gereicht. Trump ist nicht nur weiter US-Präsident, sondern seine Basis steht trotz allem treu zu ihm - und hofft, dass er am 3. November wiedergewählt wird.
Wer sind die Trump-Wähler?
Amerikaner sind aus ganz unterschiedlichen Gründen für Trump. Viele rechnen dem 74-Jährigen an, dass er dafür gekämpft hat, seine Versprechen wahrzumachen, beispielsweise bei der Besetzung des Obersten Gerichts mit konservativen Richtern oder beim Bau einer Mauer an der Südgrenze zu Mexiko. Manche heißen Trumps Politik gut - etwa sein Vorgehen gegen Migranten, sein Bekenntnis zum Waffenbesitz, oder seine "America First"-Doktrin -, missbilligen aber sein wenig präsidiales Verhalten.
Andere wählen ihn, weil sie von seiner Steuerreform oder vom Abbau von Regularien profitieren. Wieder andere sehen in ihm einen Kämpfer gegen Schwangerschaftsabbrüche. Und dann gibt es eine bedeutende Gruppe von Anhängern, die fast bedingungslos hinter Trump steht - ähnlich, wie man es bei Politikern aus autoritär regierten Staaten kennt. In einer Umfrage der Universität Monmouth vor einem Jahr sagten 62 Prozent der Trump-Anhänger, sie könnten sich nichts vorstellen, was der Präsident tun könne, um ihre Unterstützung zu verlieren. Das entsprach einem guten Viertel aller Befragten.
"Wir Lieben Dich"
Kritiker vergleichen Trumps Hardcore-Anhänger mit einem "Kult". Tatsächlich erinnern die Besucher seiner Wahlkampfauftritte nicht an Bürger mit ausgeprägtem Politik-Interesse, sondern an Fans auf Pop-Konzerten. Das Publikum skandiert bei diesen Veranstaltungen Parolen wie "Wir lieben Dich". Trump entgegnete darauf bei einem Auftritt in Greenville im US-Staat North Carolina kürzlich: "Welcher Politiker hat solche Worte je gehört?" Eine Gruppe Frauen fragte er dort vom Podium aus, wie viele seiner Veranstaltungen sie bereits besucht hätten. Eine der Frauen rief: "60!"
Der "kugelsichere" Kandidat
Das Phänomen Trump beschäftigt Politikwissenschafter, Psychologen und andere Experten schon lange. "Es gibt keinen Zweifel daran, dass Donald Trump viele Dinge gesagt hat, die für jeden anderen republikanischen Kandidaten politischer Selbstmord gewesen wären", schrieb der Neurowissenschaftler Bobby Azarian bereits im Wahlkampf 2016 in seinem Blog für die Zeitschrift "Psychology Today". Nach jeder "schockierenden Äußerung" hätten Kommentatoren vorausgesagt, dass Trump Unterstützer verlieren würde - und sie wären damit jedes Mal falsch gelegen. "Trump scheint fast völlig kugelsicher zu sein."
Abertausende Unwahrheiten
Zum einen liegt das daran, dass viele Anhänger sein krawalliges Auftreten, seinen ständigen Verstoß gegen Normen und Gepflogenheiten mögen: Sie haben die Nase voll von diplomatischen Berufspolitikern. Zum anderen hängt es damit zusammen, dass Trumps loyalste Unterstützer seine oft schwachen Ausreden ("das habe ich nie gesagt") für bare Münze nehmen - so, wie sie Trumps Aussagen sogar dann glauben, wenn sie mit der Realität wenig zu tun haben.
Die Faktenchecker der "Washington Post" haben Trump seit seinem Amtsantritt mehr als 20.000 falsche oder irreführende Aussagen nachgewiesen. In einer Umfrage des Instituts Gallup vom vergangenen Juni hielten trotzdem 72 Prozent der Republikaner Trump für "ehrlich und vertrauenswürdig". Bei Demokraten lag der Wert bei neun Prozent.
"Fake News"
Trump wiederum bezeichnet die "Washington Post" und andere Medien, die kritisch über ihn berichten, als "Volksfeinde", denen man nicht vertrauen dürfe. "Halten Sie sich an uns, glauben Sie nicht den Mist, den Sie von diesen Leuten sehen, den Fake News", sagte er bei einem Auftritt im Juli 2018. "Denken Sie nur daran, dass das, was Sie sehen und was Sie lesen, nicht das ist, was geschieht."
"Propagandamaschine" Fox News
Den Glauben an Trump befeuert Fox News. In seinem Buch "Hoax" beschreibt der CNN-Medienjournalist Brian Stelter den Sender als "Propagandamaschine, wie sie die Vereinigten Staaten nie zuvor gesehen hatten". Fox News ist eine Echokammer: Trump bezieht Ideen für seine Politik aus den Sendungen, die dann lobend über seine Politik berichten. Besonders in den populären Meinungssendungen am Abend wird Trump gehuldigt, und das ist keine Übertreibung. In einer Umfrage des Senders NBC und des "Wall Street Journals" genoss Trump bei 73 Prozent der Fox-News-Konsumenten Zustimmung für seine Arbeit. Bei Zuschauern anderer Sender lag der Wert unter 40 Prozent.
Eine psychologische Erklärung?
Mit Blick auf jene loyalen Anhänger, die Trump jede noch so offensichtliche Unwahrheit glauben, fragte der Neurowissenschaftler Azarian: "Was geht in ihren Gehirnen vor, das sie so blind hingebungsvoll macht?" Eine mögliche Erklärung: Der nach den US-Psychologen David Dunning und Justin Kruger benannte Dunning-Kruger-Effekt. Dieser Effekt beschreibt das Phänomen, dass inkompetente Menschen ihr eigenes Können überschätzen und zudem nicht in der Lage sind, das Maß ihrer Inkompetenz zu erkennen. "Im Wesentlichen sind sie nicht klug genug, um zu erkennen, dass sie dumm sind", so fasste es Azarian zusammen. Dunning selber schrieb im Wahlkampf 2016 in einem Beitrag für die Nachrichtenseite "Politico": "Dieses Syndrom könnte durchaus der Schlüssel zum Trump-Wähler sein - und vielleicht sogar zu dem Mann selber. Trump hat zahlreiche anschauliche Beispiele für diesen Effekt geliefert."
Warum Trump die "schlecht Gebildeten" liebt
Trump - der sich selber als "ein sehr stabiles Genie" bezeichnet hat - sagte im Februar 2016: "Ich liebe die schlecht Gebildeten." Das ist nachvollziehbar, schaut man sich seine Basis an: Je niedriger der Bildungsgrad, desto höher ist nach einer in diesem Monat veröffentlichten Umfrage des Instituts Pew der Zuspruch für Trump. Nach dieser Pew-Statistik ist der wahrscheinlichste Trump-Wähler nicht nur ungebildet, sondern auch republikanisch, männlich und weiß.
Besonders diese Bevölkerungsgruppe ist es, die angesichts der gesellschaftlichen Entwicklung in den USA befürchten muss, ins Hintertreffen zu geraten. Trumps Warnungen vor einer "Invasion" von Migranten, vor einer Explosion der Kriminalität, vor marodierenden linken Horden, vor einer Zerstörung der Vororte fallen bei ihr auf fruchtbaren Boden. Der Präsident behauptete im vergangenen August: "Ich bin das Einzige, was zwischen dem amerikanischen Traum und totaler Anarchie, Wahnsinn und Chaos steht."
"Sie sind hinter dir her"
Trump gelingt es meisterlich, sogar Vorwürfe gegen seine Person zu einer Bedrohung für seine Anhänger umzudeuten. Während des Amtsenthebungsverfahrens, das er wegen der Ukraine-Affäre über sich ergehen lassen musste, verschickte er im vergangenen Dezember über Twitter ein Schwarz-Weiß-Bild von sich. Es zeigt den Präsidenten auf einem Bürostuhl, den Oberkörper leicht nach vorne gebeugt. Er blickt ernst und entschlossen, mit dem Zeigefinger seiner rechten Hand zeigt Trump auf den Betrachter. "In Wahrheit sind sie nicht hinter mir her, sie sind hinter Dir her", steht auf dem Bild. "Ich bin nur im Weg."
Ein Anwalt der Vergessenen?
Als Baumogul war der Milliardär Trump für seine Skrupellosigkeit berüchtigt. Dem Präsidenten Trump glauben jetzt viele seiner Anhänger, dass er der selbstlose Anwalt der Benachteiligten geworden ist - ihr Anwalt. "Von Anfang an war es mein Gelübde, für diejenigen einzutreten, die vergessen, vernachlässigt, übersehen und ignoriert wurden", sagte Trump im Oktober 2019. "Mein Ziel ist es gewesen, den sprachlosen Massen eine Stimme zu geben." Selbst wenn er den sprachlosen Massen eine Stimme gegeben haben sollte: Derzeit muss Trump angesichts schlechter Umfragewerte hoffen, dass es eine von ihm beschworene "schweigende Mehrheit" gibt - die sich in Umfragen nicht zu ihm bekennt, die ihm aber am 3. November ihre Stimme geben wird.
Can Merey aus Washington