Monty Wheeler steht mit geschlossenen Augen und gesenktem Kopf unter einem bläulich leuchtenden Kreuz, als er gemeinsam mit seiner Gemeinde für den Präsidenten betet. Ein "Amen" geht durch die Kirche. Deren Tür ist aus Angst vor bewaffneten Attentätern abgeschlossen.

Wer ins Roberts County nach Texas will, fährt von Dallas aus fünf Stunden Richtung Nordwesten, bis die Straßen kleiner und die Autos größer werden. Der Bezirk ist fast so groß wie Vorarlberg, nicht einmal 1000 Menschen leben hier seit Generationen vor allem von Rinderzucht und Gasvorkommen. Und Tag für Tag treibt die texanische Sonne dem dramatisch wirkenden Wildwest-Canyon auch die kühlste Nacht aus.

95 Prozent für Trump

Doch seit 2016 ist da noch etwas. Bei der Präsidentschaftswahl stimmten rund 95 Prozent der Wähler für Donald Trump - mehr als überall sonst in den USA. Das Roberts County wurde überregional bekannt und Kamerateams stürmten auf der Suche nach Trump-Fans sein einziges Dorf, Miami. Der Ort ist das Gegenteil des Miami in Florida. Wenn nicht gerade ein Güterzug hindurch rattert, herrscht am Sonntag Stillstand. Das einzige Café ist geschlossen, der kleine Supermarkt auch, die Schule eh. Nur in vier Kirchen herrscht reger Betrieb.

"Komm rein", sagt eine Frau, die im weiß gestrichenen Seiteneingang der Baptistenkirche steht. Dianne Wheeler lächelt. Unter ihrer Strickjacke trägt sie ein gelbes T-Shirt, dessen Aufschrift an das Gleichnis vom verlorenen Schaf erinnert. Drinnen steht ihr Mann Monty unter dem blauen Kreuz und ruft Gott wegen des an Covid-19 erkrankten Präsidenten an: "Wir beten, dass er sich erholt. Dass Du seinen Körper stärkst".

Angst vor einem Attentat

45 Menschen sitzen vor dem Dekan. Ein paar Kinder, viele Alte. Zur Begrüßung haben sie sich umarmt oder Hände geschüttelt, eine Maske trägt niemand. Sie hoffen, dass die Abgeschiedenheit sie vor Corona schützt. Mindestens elf Infizierte gab es bereits im Roberts County. Zuletzt stand die Tür der Bankfiliale tagelang weit offen - zum Lüften. Es hatte eine Angestellte erwischt.

Auch beim Bibelkreis im Nebenraum der Kirche sitzen die Erwachsenen eng zusammen. Aus Styroporbechern dampft der Kaffee, dazu gibt es Donuts mit klebriger Glasur. Die Gruppe diskutiert über Ehebruch. Es ist ein lockeres Gespräch, das Diannes Bruder Jerry leitet. Er fragt, was man tun könne, wenn man einen Freund im Gespräch mit zwei jungen Frauen im Bikini sehe. Es wird gelacht. Frauen in Bademode laufen wohl eher im anderen Miami rum. Doch Dianne bleibt ernst: "Ich würde sicherlich erst einmal beten", sagt sie.

Gottvertrauen

Die 54-Jährige betet immer wieder kurz, um Kontakt zu Gott zu halten, erklärt sie. In der Diskussion vergehen nur Momente, da senkt Dianne ihren Kopf. Sie sitzt aufrecht und ein wenig steif, kneift ihre Augen zu. Nach 30 Sekunden redet sie wieder mit. Neben ihrem Mann steht sie im Mittelpunkt des Sonntags. Zum Mittag hat sie Enchiladas für die Gemeinde vorbereitet. Eine Spendenaktion für ein Jugendcamp.

Erst als alle Teller gefüllt sind und die Gläubigen an den Plastiktischen plaudern, bedient sich auch Dianne. Sie nimmt Platz und räuspert sich. Trump sei "kein perfekter Mann", beginnt sie. Doch sie wolle einen Präsidenten, der eng an der Seite Israels steht und die Abtreibungsrechte einschränkt. Sie redet von "Millionen Kindern", die durch Schwangerschaftsabbrüche getötet worden seien. Ihre Stimme wird dünner, ihre Augen füllen sich mit Tränen.

Hass macht Sorgen

Monty setzt sich neben sie, in der Hand hält er einen Becher Softeis aus der neuen Maschine. Er stimmt seiner Frau zu: "Trump hat nicht den richtigen Ton, aber macht die richtige Politik. Obama dagegen hatte den richtigen Ton, aber seine Politik war schrecklich."

Was dem Paar in diesen Tagen aber am meisten Sorgen bereitet, ist der Hass. Sie befürchten, ein Schütze könnte mit einem Gewehr in die Kirche eindringen und ein Massaker anrichten. Im ganzen Land sei die Abscheu der Amerikaner voreinander dieser Tage spürbarer denn je. Dianne glaubt, die politische Spaltung könnte auch ihre eigene Familie zerreißen. Die Wahl am 3. November mache ihr deshalb "Todesangst".

Texanisches Klischee

Auf der anderen Seite der Schienen, hinter zerklüfteten Hügeln, beginnt die Ranch von Brett Hall. In der Früh hatte er noch zwölf Dosen in der Kühlbox. Nun brennt die Mittagssonne auf den weißen Lack, er lenkt den Pick-up zunehmend unsicher durch seine Schlucht und Bier spritzt in den Fußraum neben das Gewehr. Unterdessen reiten draußen Männer mit Cowboyhüten vorbei - es wirkt wie ein texanisches Klischee.

Der 58-jährige Hall trägt eine Mütze der US-Waffenorganisation NRA und erzählt, seine 44 Quadratkilometer Land seien seit 1920 in Familienbesitz. Ihm gehören 400 Kühe, ein großes Haus mit Partykeller, Heimkino und mindestens sechs Autos. Einige seien zum "Mädels abholen". Von seiner Frau lebe er seit zwei Jahren getrennt.

Flaggen der Konföderierten

"Ich würde mich als zersetzender, konformistischer Extremophiler bezeichnen", erklärt Hall, und es klingt, als sage er das öfter. Extremophile Organismen haben sich an extreme Umweltbedingungen angepasst. Er folge nicht jeder Regel, sagt Hall. "Ich fahre und trinke. Ich tue niemandem weh, aber ich bin eher so ein Typ fürs freie, weite Land." Der Pick-up hält vor einer Scheune.

Drinnen hängen Flaggen der Konföderierten neben Fahnen von Texas und Halls alter Uni, deren Wappen er als Brandmal auf seinem Hintern trägt. Er sei kein "Redneck", betont er. Kein weißer Hinterwäldler. Und kein Rassist - also "nicht notwendigerweise". Dann sagt er Dinge, bei denen er an anderen Orten Glück hätte, nur verprügelt zu werden.

Konservative Ansichten tief verwurzelt

Im Norden von Texas - wo sich auch viele Deutsche Ende des 19. Jahrhunderts ansiedelten - sind einige der konservativsten Ansichten der USA verwurzelt. Im Mittelpunkt steht die traditionelle Familie, in der der christliche Glaube teils fundamental gelebt wird. Ihre Freiheit sehen die Menschen in ihrer Autonomie. Geschick und Fleiß bestimmen über den Besitz, der - wenn nötig - mit Waffen verteidigt wird. Die Politik soll sich raushalten, auch mit Steuern.

"Wohlfahrtsstaat" ist ein sozialistisches Schmähwort, LGBTQ-Ablehnung - also von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender - sowie Rassismus sind verbreitet. Es mag kein Zufall sein, dass in Miami kein Afroamerikaner lebt. Die "Black-Lives-Matter"-Bewegung wird im Kontext von vermeintlich brandschatzend durchs Land ziehenden Mobs gesehen, die womöglich auch das Roberts County im Visier haben. Auch wenn das weit hergeholt klingt, ist die Angst der Bewohner real.

Angriff auf die Identität

Viele begreifen die Präsidentschaftswahl deshalb als Angriff auf ihre Identität, ihren amerikanischen Traum. Seit Jahrzehnten haben die Republikaner trotz der vielen Liberalen in Großstädten eine Mehrheit in Texas. Doch dieses Jahr hat der Demokrat Joe Biden die Chance auf einen historischen Sieg. Wenn Texas fällt, ist Trump erledigt.

In seiner Scheune öffnet Rancher Hall einen Tresor mit der Aufschrift "Fort Knox". Er zeigt das vererbte Winchester-Gewehr Model 1910 seines Großvaters. Mit einer modernen Schnellschusswaffe macht er vor, was Eindringlinge zu erwarten hätten.

Misstrauen ist stark

Die letzten vier Jahre seien gute Jahre gewesen, sagt Hall. Trumps Deregulierung des Energiesektors habe ihm wirtschaftlich genützt. Doch es gehe um mehr. "Er gibt uns ein gutes Gefühl", meint er und fällt in einen bewundernden Tonfall. Da sei diese Verbindung: "Wenn ich ihn sprechen sehe, weiß ich, was er fühlt". Er schwärmt von Trumps Unternehmergeist, dem Reichtum, seinem Namen in Gold auf Wolkenkratzern.

Hall kramt sein Gold aus dem Tresor: Schwere Münzen, mindestens eine Viertelmillion wert, sagt er. Warum sie in einer einsamen Scheune lagern statt auf der Bank? "Weil sie von der Regierung kontrolliert wird", sagt er, als verstehe sich das von selbst.

Das Misstrauen in den Staat ist stark in Texas, erklärt Miamis Bürgermeister Chad Breeding. Seit den Reformen von Ex-Präsident Barack Obama etwa koste seine Krankenversicherung Hunderte Dollar mehr, das sei nicht in Ordnung. "Die Menschen hier wählen nicht für Trumps Manieren. Sie wählen gegen weitreichende Regierungsstrukturen" - und das nicht erst seit 2016.

Nur wenige Trump-Fahnen

Solidarität leben die Menschen im Roberts County auf persönlicher Ebene, sagt der lokale Richter Rick Tennant. "Wenn jemand ein Problem hat, dann kümmern wir uns mit Herz und Seele darum und geben uns die größte Mühe, ihm zu helfen." Nach der Arbeit geht Tennant in die Werkstatt, um für andere Leute Reifen zu wechseln.

Wer Miami besucht, auf den wartet nicht die Trump-Hochburg mit Fahnen und Fanatikern, wie man erwarten könnte. Nur wenige Bewohner haben Trump-Schilder in ihre akkurat gemähten Vorgärten gesteckt. "Wir sind nicht so, wie alle immer sagen", sagt eine Frau, die sich noch immer darüber empört, wie 2016 die TV-Sender über das Dorf berichteten.

"Sie haben es so geschnitten, dass wir wie Dummköpfe aussahen. Wir sind keine Dummköpfe, ich habe einen Hochschulabschluss!" Die Menschen im Roberts County fühlen sich noch immer vorgeführt. Trotzdem zeigen sie sich dem Reporter gegenüber aufgeschlossen. Keiner spricht von "Fake News" wie der Mann, den sie fast alle wählen.

Weiterhin Vertrauen in Trump

Sie erzählen bereitwillig, warum Donald Trump weiterhin ihr Vertrauen genießt. Er sei durchsetzungsstark und habe viele Wahlversprechen gehalten, konservative Richter ernannt, Steuererleichterungen veranlasst und das Recht auf Waffenbesitz geschützt. Seine Lügen oder die desaströse Corona-Politik spielen sie in Miami herunter.

Viele Aussagen scheinen dabei verdächtig bekannt. Trump habe "die stärkste Wirtschaft der Geschichte geschaffen", Joe Biden dagegen werde "von radikalen Linken kontrolliert", sagen sie. Es klingt teils wie ein Echo von Trump und der konservativen bis rechten Medien, von Fox News bis "Breitbart". Abends leuchtet auf dem Handy ein Trump-Tweet: "Biden ist gegen Öl, Waffen und Religion, eine sehr schlechte Kombination, um im großartigen Staat Texas anzutreten".

Doch dieselben Menschen, die dem Präsidenten glauben, erzählen auch von ihrem Misstrauen in die Presse. "Alles, was wir wollen, sind Fakten. Keine Fakten durchmischt mit Meinung", sagt einer. Ein anderer versucht, Faktenchecks großer Zeitungen zu überprüfen.

Brett Hall schließt seinen Tresor, seine kleine Festung in einer möglicherweise wankenden Welt. Falls Donald Trump abgewählt werde, falle ihm dazu nur ein Wort ein: "Armageddon." Ob er einen Bürgerkrieg meine? "Könnte buchstäblich passieren", sagt er und steigt in seinen Wagen.

Dianne und Monty Wheeler versprechen zum Abschied, für den Besucher und seine Gesundheit zu beten. Es gebe schließlich Wichtigeres als Politik - und noch immer Dinge, auf die sich alle einigen könnten. "Essen zum Beispiel", sagt Dianne und lacht. Monty fügt hinzu, es gebe ohnehin nichts Amerikanischeres als Apfelkuchen.