Eine Stunde lang standen vor fünf Jahren die politischen Uhren in Wien still: Gleich nach Schluss der Wahllokale in der Bundeshauptstadt um 17 Uhr des 11. Oktober 2015 gingen ORF und Privatsender mit der Meldung "SPÖ und FPÖ Kopf an Kopf" an die Öffentlichkeit. Die SPÖ wäre demnach auf zwischen 35 und 38 Prozent der Stimmen gekommen, die FPÖ auf 33 bis 36 - mit dem Potenzial, die Sozialdemokratie sogar noch zu überholen.
(Im Endergebnis kam es völlig anders, wie wir heute wissen: Michael Häupls SPÖ kam auf 39,5 Prozent, Heinz-Christian Straches FPÖ auf nur 30,8 und damit klar auf den zweiten Platz.)
Was folgte, war eine der bizarrsten Stunden der österreichischen Polit- und Mediengeschichte: Verzweifelte Sozialdemokraten, die mit Schweißperlen auf der Stirn darauf verwiesen, dass ja noch nicht alles ausgezählt sei; Freiheitliche wähnten sich bereits im Bürgermeisterzimmer. Und Journalisten und Analysten versuchten sich auf die neuen Gegebenheiten und einen unerwarteten FPÖ-Triumph einzustellen.
Erst kurz nach 18 Uhr fand der Spuk sein Ende - als Hochrechner auf Basis der bereits vorhandenen Stimmzettel eine neue Prognose aufstellten, die dem endgültigen Wahlergebnis ziemlich nahe kamen.
Umfragen statt Ergebnissen
Was war passiert? Die Institute Sora und Hajek, die für ORF und ATV die Prognosen erstellten, hatten sich bei ihrer Prognose vor allem auf ältere Trends und eine Zusammenschau bisheriger Umfragen gestützt - und aus diesen ein verzerrtes Bild berechnet. Erst mit Eintreffen der ersten echten Stimmzettel und Ergebnisse konnten die Institute das Bild geraderücken - und praktisch genau das Endergebnis vorhersagen.
Bei der aktuellen Wahl sind alle Beteiligten entschlossen, dass sich die Fehler von 2015 nicht wiederholen dürfen: So haben ORF, ATV und APA (die auch die Kleine Zeitung beliefert) heuer eine aktuelle Umfrage unter 4.000 Wienern in Auftrag gegeben, aus der eine präzisere Prognose für 17 Uhr berechnet wird - die Experten versprechen eine Schwankungsbreite von 2,5 Prozent in der Prognose, die Sie ab 17 Uhr auf kleinezeitung.at finden werden. Kurz nach 18 Uhr folgt die erste Hochrechnung auf Basis erster Auszählungen.
"Aus Fehlern gelernt"
Freilich gibt es heuer noch größere Unabwägbarkeiten: Einerseits wurden für die Wien-Wahl heuer 382.214 Wahlkarten ausgegeben, 1,8 mal so viele wie 2015 (203.874). In Summe werden in den vorläufigen Gesamtergebnissen Sonntagabend noch rund 40 Prozent der Stimmen fehlen. Dazu kommt das Antreten der Liste Straches, die noch nie zuvor auf Wahlzetteln gestanden ist. Risken, von denen die erfahrenen Hochrechner aber überzeugt sind, sie einordnen zu können.
Hörtipp: Im Podcast "ganz offen gesagt" spricht Meinungsforscher Peter Hajek über die Fehler von 2015 und was seine Branche daraus gelernt hat:
Georg Renner