Seitdem Donald Trump am Freitag überraschend bekannt gab, dass er und seine Frau sich mit dem Coronavirus infiziert haben, überschlagen sich in Washington die Ereignisse. Der Präsident liegt inzwischen in einem Militärspital in Washington, wo er mit dem Medikament Remdesivir behandelt wird. Er sei wohlauf, versicherten seine Ärzte. Trump sei 24 Stunden fieberfrei. In einer Videobotschaft, die Trump selbst auf Twitter postete, sagte der Präsident: „Ich denke, es geht mir sehr gut.“
Die zur Schau gestellte Zuversicht kann freilich nicht verbergen, dass in Washington die Sorge um das Ausmaß der Corona-Infektionen im Weißen Haus immer größer wird. Denn die Zahl der positiv getesteten Personen aus dem Umfeld des Präsidenten wächst stündlich. Neben Trumps Wahlkampfmanager Bill Stepien und der früheren Beraterin Kellyanne Conway sind bereits drei republikanische Senatoren darunter, die offenbar allesamt unter Missachtung sämtlicher Coronaregeln an der Vorstellung der konservativen Juristin Amy Coney Barrett als Kandidatin für den freien Posten am Supreme Court am Samstag vor einer Woche im Rosengarten des Weißen Hauses teilnahmen.
Mit den Neuinfizierten wächst aber auch die Sorge, dass die Erkrankung des Oberbefehlshabers der mächtigsten Militärmacht der Welt von Kontrahenten der USA ausgenutzt werden könnte. Denn das Coronavirus schaffte im März dieses Jahres, was seit Ende des Zweiten Weltkrieges keiner anderen Macht bis dato gelang: einen nuklearbetriebenen Flugzeugträger der US-Navy für mehrere Wochen kampfunfähig zu machen. Erst im Juni nach über zwei Monaten in Quarantäne und der Behandlung von 1200 Infizierten an Bord konnte die USS Theodore Roosevelt wieder Normalbetrieb aufnehmen. Für die USA war das eine schwere Demütigung. Kein anderes Waffensystem symbolisiert für die breite Öffentlichkeit die überlegene amerikanische Militärmacht mehr als die global operierenden Flugzeugträgerflotten.
Mit der Erkrankung von Trump droht nun auch deren zweitem großen Pfeiler eine empfindliche Schwächung: der nuklearen Abschreckung. Donald Trump besitzt als Präsident die Vollmacht, innerhalb weniger Minuten einen nuklearen Angriff auf potenzielle nukleare Gegner wie China, Russland und Nordkorea zu befehlen. Ermöglicht wird das durch den sogenannten „Nuclear Football“, einen Koffer, in dem die Codes und Pläne für einen nuklearen Schlagabtausch bereitliegen. Als Donald Trump am Freitag den „Marine One“-Helikopter bestieg, um sich im Walter-Reed-Militärspital in medizinische Behandlung zu begeben, folgte ihm ein Offizier mit genau diesem Koffer auf den Fersen.
Im Wettbewerb der Großmächte spielen Nuklearwaffen nach wie vor eine wichtige Rolle. Sie garantieren in der Theorie die sogenannte globale strategische Stabilität, basierend auf der nuklearen Abschreckung. Der Hintergrundgedanke ist, dass keine Atommacht versuchen wird, einen Krieg mit einer anderen anzufangen oder eine Krise zu provozieren, solange sie sich nicht sicher sein kann, dass das eigene Territorium von nuklearen Vergeltungsschlägen getroffen wird. Um diese Option für politische Entscheidungsträger in Washington, Moskau und Peking zu gewährleisten, kreuzen auf den Weltmeeren nach wie vor russische, amerikanische und seit einigen Jahren auch chinesische mit Atomwaffen beladene U-Boote, die innerhalb weniger Minuten ihre Raketen abfeuern können. Auch landgestützte Raketen und Bomber stehen hierzu im Minutentakt bereit.
Durch Trumps Erkrankung wird nun ein Herzstück der nuklearen Abschreckungsstrategie infrage gestellt: der Zeitfaktor. Wie schnell kann der coronainfizierte Präsident auf etwaige Krisen mit anderen nuklearen Großmächten reagieren? Solange er die Amtsgeschäfte führt, darf nur er den Einsatz von nuklearen Waffen befehlen. Im Falle einer Krise müsste er aber sofort in einen sicheren, hermetisch abgeriegelten Untergrundbunker irgendwo nahe Washington evakuiert werden. Wie das aber in Praxis funktionieren sollte mit einem kranken Oberbefehlshaber, der nach und nach militärische und politische Entscheidungsträger in seinem Umfeld anstecken würde, ist nur schwer vorstellbar.
Wie bereits erwähnt, wurden immer mehr Mitarbeiter des Präsidenten und Politiker aus seinem Umfeld in den letzten Tagen positiv auf Corona getestet. Sollte das Virus auf das nationale Sicherheitsteam Trumps und seine militärischen Berater übergreifen, könnten weitere Verzögerungen in Entscheidungsprozessen drohen. Der amerikanische Vizepräsident, Mike Pence, an den Trump die Amtsgeschäfte inklusive der atomaren Vollmacht im Falle einer Verschlechterung seines gesundheitlichen Zustandes übergeben würde, ist bis dato coronanegativ. Ebenso die Dritte in der protokollarischen Rangfolge, die Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi. Solange Trump aber die Amtsgeschäfte nicht offiziell abgibt, ist die Nachfolgeregelung allerdings belanglos.
Was werden die Feinde der USA nun tun?
Eine geschwächte atomare Abschreckung ausgelöst durch einen kranken Präsidenten bedeutet natürlich nicht, dass China oder Russland einen nuklearen Erstschlag gegen die USA oder die Nato wagen werden. Vielmehr geht die Angst in Washington umher, dass jede Schwächung der nuklearen Abschreckung der USA auf anderen Ebenen sicherheitspolitisch ausgenutzt werden wird. So könnte zum Beispiel China in den nächsten Wochen stärker im Südchinesischen Meer auftreten; Russland neue Desinformationskampagnen in den USA und Europa starten und der Iran im Nahen Osten Alliierte wie Saudi-Arabien provozieren. Auch nichtstaatliche Akteure könnten die Gunst der Stunde nutzen. Aus diesem Grunde veröffentlichte der US-Generalstab sofort nach Bekanntwerden der Erkrankung Trumps am Freitag ein Statement, welches besagt, dass „das US-Militär bereitsteht, das Land und ihre Bürger zu verteidigen. Die Einsatzbereitschaft und die Fähigkeit unserer Streitkräfte sind unverändert.“
Das stimmt aber nur teilweise. Die Fähigkeiten zum raschen Einsatz sind letztendlich von den politischen Entscheidungen abhängig. Mit einem kranken Präsidenten und einem reduzierten Beraterstab könnte sich das als schwierig erweisen. Selbst wenn Entschlüsse im Weißen Haus unverändert rasch fallen, ist die Chance, dass die falschen Entscheidungen getroffen werden, durch die Corona-Infektion des Präsidenten und seines Umfeldes erheblich gestiegen. Die Angst in Washington, dass etwaige Gegenspieler der USA aus diesem Moment der sicherheitspolitischen Schwäche abseits der nuklearen Dimension Profit schlagen, ist durchaus berechtigt.
unserem Korrespondenten Franz-Stefan Gady aus New York