Dieses Deja-Vú hätte sich Generalleutnant Franz Reißner kurz vor Ende seiner militärischen Laufbahn gerne erspart. Der Niederösterreicher ist seit 2012 Kommandant der Streitkräfte und nach dem Generalstabschef zweithöchster Offizier im Bundesheer. Das steht nun vor seiner nächsten großen Umstrukturierung. Was so etwas mit sich bringt, musste er in seinem Wirkungsbereich schon mehrfach erdulden. Seit 2016 befindet sich das operative Heereskommando mit Sitz in Graz und damit auch die nachgeordneten Ebenen und Truppenkörper in permanenter Neugliederung. „Manche glauben, wenn wir eine andere Truppeneinteilung machen, können wir damit unsere Probleme lösen. Darauf fiel leider bisher jede Ressortleitung hinein“, geht Reißner auch mit den Planern im eigenen Haus hart ins Gericht.

„Gelinde gesagt unprofesionell" nennt Reißner das Vorgehen in den letzten fünf Jahren. Strukturänderungen seien mehrfach „aus dem Bauch heraus“ und ohne begleitende wissenschaftliche Prozesse und wirtschaftliche Analysen der Politik vorgeschlagen worden. Als Beispiel nennt er die damals geplante Aufstellung von zusätzlichen Einheiten bei gleichzeitig sinkender Zahl Grundwehrdienern und fehlender Ausrüstung: ein nicht aufzulösender Widerspruch.  

Anfang dieses Jahres schöpfte Reißner neue Hoffnung. Im Umfeld von Verteidigungsministerin Klaudia Tanner glaubte er eine professionellere Herangehensweise zu erkennen. Bei einer Kommandantenbesprechung Ende Jänner, bei dem neben der Ministerin, ihrem Generalsekretär und der Generalstabschef zu Wort kamen, sei die Einladung an alle ergangen „Vorschläge mit Herzblut zu erarbeiten und zu übermitteln“. Er wiederholte dort seine langjährigen Forderungen: Abläufe seien zu durchforsten, Doppelgleisigkeiten zu beseitigen, das Personalwesen zu modernisieren.

Knistern im Gebälk

Die Coronakrise habe diesen Prozess gestoppt, der Einsatz band wochenlang alle Ressourcen. Als Mitte Juni aber erste "Visionen" aus dem Kabinett Tanner die Runde machten, sei in der Truppe ein deutliches „Knistern im Gebälk“ laut geworden. Für den 24. Juni wurden auf seine Bitte hin die Kommandanten vier Brigaden der Landstreitkräfte zu einem Gespräch ins Ministierium geladen. Keine 40 Stunden zuvor weihte Tanners Kabinett ausgewählte Journalisten in einem kurzfristig angesetzten Hintergrundgespräch in die bahnbrechenden Pläne ihres Ressorts ein. Diese sahen eine Abkehr vom Schwerpunkt der klassischen militärischen Landesverteidigung, eine Verschmelzung der Brigaden mit den Militärkommanden und die Zusammenführung der darüberliegenden Befehlsebenen, konkret dem Streitkräftekommando mit der Sektion Einsatz im Ministerium, vor. Der Rest ist bekannt: Ministerin Tanner geriet politisch schwer unter Beschuss, musste beim Bundespräsidenten zum Rapport und relativierte in den folgenden Tagen die von ihrem Stabschef kommunizierten Pläne. Einschätzung vieler Beobachter: Die Ministerin ruderte zurück. Nun soll es doch wieder einen “breiten Diskussionsprozess” geben.

Franz Reißner bei der Kommandoübergabge 2019
Franz Reißner bei der Kommandoübergabge 2019 © ballguide/Mednitzer

Reißner will den Zustand des Bundesheeres nicht allein an dessen chronischen Finanzmangel festmachen. Dass genau jene Fahr- und Flugzeugflotten, die das Rückgrat der Armee bilden, großteils zwischen 1970 und 1984  beschafft wurden und jetzt am Ende ihrer Lebenszeit angekommen sind, sei aber evident. "Auch die komplette Digitalisierung haben wir in Zeiten sinkender Budgets gestemmt, während andere dafür viel zusätzliches Geld erhielten", führt er ins Treffen. Jetzt sei endgültig die Zeit gekommen, um Pinzgauer, Saab 105 und Co. zu erneuern - nur die Mittel fehlen. 

Das Heeresbudget als unendliche Geschichte. Aber ebenso lähmend für eine einsatzorientierte Organisation ist laut Reißner die schwerfällige Administration, hervorgerufen durch "höchst komplizierte und unübersichtliche  Verhältnisse im Dienst- und Besoldungsrecht". Mehr als 80 verschiedene rechtliche Konstrukte existieren nebeneinander im Heer. Deutlich sichtbar wurden diese im eben abgelaufenen Milizeinsatz, in dem Soldaten gleichen Ranges und gleicher Funktion komplett unterschiedlich entlohnt wurden.

Fremdbestimmung

Auch viele  Entscheidungen im Detail über Personal und Budget werden nicht im Haus getroffen, sondern  von Beamten im Bundeskanzleramt bzw. im Finanzministerium. "Man kann sich vorstellen, was das für die Aufgabenerfüllung heißt", unterstreicht der Offizier, der der dadurch die Funktion des Ressortchefs als monokratisches Organ in Gefahr sieht. "Aufgabe, Kompetenz, Ressourcen und Entscheidungsverantwortung gehören in eine Hand." Der Zentralismus, der auch jede kleinste Beschaffung und jede Neuaufnahme zum bürokratischen Hindernislauf mache, erinnere an die 50er-Jahre. Warum dieser Missstand noch von keiner Regierung ernsthaft angegangen wurde? "Manche im Apparat sind es so gewohnt und können in ihrer Komfortzone bleiben, schlagen es daher gar nicht vor", sagt Reißner.

Ein weiteres Problem stellt der Drei-Sterne-General im eigenen Haus fest: Er nennt es eine "ungünstige berufliche Diversität". Experten mit zivilem Studium sind im Ministerium in der Minderheit, die Offiziere zwar auf Militär- und Landesverteidigungsakademie bestens ausgebildet und international anerkannt, aber eben mit dem Fokus auf den militärischen Einsatz – für ihn damit zu eng determiniert.  “Das Bundesministerium hat auch einen Unternehmensaspekt. Da haben wir Mängel ." Reißners Analyse: "Wir schmoren zu sehr im eigenen Saft." Er wünscht sich mehr  wissenschaftliche Herangehensweise und Expertise durch ziviles Studium im Ressort und verweist etwa auf das Nachbarland Schweiz, wo eine abgeschlossene Berufsausbildung Voraussetzung für die Berufs-Offizierslaufbahn ist. Aber auch in Deutschland finde man kaum Offiziere ohne zusätzliches ziviles Studium. In Österreich habe man durch das Milizprinzip großes Potenzial, das aber weitgehend noch nicht gehoben werde.

SPÖ-Mitglied seit Jugend

Franz Reißner, seit seiner Jugend SPÖ-Mitglied, steht knapp ein Jahr vor seiner Pensionierung. Die Fähigkeiten der Streitkräfte auf Höhe der Zeit zu halten und auch auszubauen, ist ihm aber auch am Ende seiner Laufbahn ein Anliegen. Er hat dazu auch Papiere verfasst und seine Beurteilung den Verantwortlichen übermittelt. "Die Brigadefähigkeit", sagt er, "ist die Schlüsselfähigkeit, die den Kern der Zweckbestimmung des Bundesheeres auch bei der erforderlichen weiteren Ausrichtung auf die neuen Bedrohungen ausmacht." Ohne Brigadestruktur gebe es keine Armee."Diese Charakteristika, wie taktische Mobilität, Autarkie, die Fähigkeit zum koordinierten Zusammenwirken verschiedenster militärischer und ziviler Fachgebiete sowie Durchhaltefähigkeit unterscheiden uns auch wesentlich von der Exekutive", betont der 63-Jährige.

Und auch eine koordinierende übergeordnete Ebene - wie eben sein Kommando Streitkräfte - sei unabdingbar. Vor allem bei einer ständigen Mangellage, in der das jeweils gerade einsatzbereite Personal und Gerät zwischen Verbänden und Bundesländern hin- und hergeschoben werden muss, um alle Aufträge erfüllen zu können. 

Dass unter all den schwierigen Rahmenbedigungen die Truppe am Boden wie auch in der Luft nach wie vor hervorragende Leistung zeige und die viel zitierte Einsatzfähigkeit des Bundesheeres weiterhin gewähre, hebt der Streikträftekommandant nicht nur einmal lobend hervor. "Ich erlebe auch auf internationaler Ebene immer noch größte Anerkennung für den hohen Ausbildungsstand unserer Soldaten."