Auf dem Tisch liegt unglaublich viel Geld: Längst schon hätte der Finanzrahmen (MFR) für 2021 bis 2028 beschlossen werden sollen, parallel verhandeln die Mitgliedsländer der EU über den Vorschlag der Kommission für ein Corona-Wiederaufbauprogramm der Wirtschaft – insgesamt geht es um mehr als 1,8 Billionen Euro. Die Soforthilfe der EU in Höhe von 540 Milliarden Euro, die bereits auf den Weg gebracht wurde, ist da noch gar nicht mit eingerechnet.
Doch immer noch sind die Fronten verhärtet und es erscheint ungewiss, ob der Sondergipfel am Freitag und Samstag – erstmals nach Monaten treffen sich die Akteure wieder persönlich – auch zu einem konkreten Verhandlungsergebnis führt; notfalls, so hieß es, könnte man auch bis Montag durchverhandeln. Nachdem erste Details schon durchgesickert waren, hatte sich Ratspräsident Charles Michel am Freitag dazu entschlossen, mit seinem Kompromissvorschlag an die Öffentlichkeit zu gehen. Wie berichtet, sieht er einen leicht reduzierten MFR vor (1074 Milliarden Euro statt 1100 Milliarden) sowie neue Modalitäten für das 750-Milliarden-Aufbauprogramm. Michel bleibt zwar bei 500 Milliarden an Zuschüssen und 250 Milliarden an Krediten, er wünscht sich aber eine gestaffelte Auszahlung, die an die tatsächliche wirtschaftliche Entwicklung der einzelnen Länder und Mitsprache des Rates gekoppelt ist. Michel plant auch eine „Reserve“ von fünf Milliarden Euro für die Folgen im Falle eines No-Deal-Brexits, der immer wahrscheinlicher wird.
Österreich, Teil der „sparsamen Vier“, würde einen jährlichen Beitragsrabatt von 237 Millionen Euro lukrieren. Doch viele Punkte sind noch strittig: So sollen die Mittel klar entlang der EU-Fernziele fließen, etwa statt bisher 25 in Zukunft 30 Prozent für Klimaschutz. Der MFR-Ansatz, bei dem zwar Bereiche wie Landwirtschaft oder Kohäsion unangetastet blieben, andere aber (wie Erasmus, Horizon oder Migration) leiden würden, stößt auf Kritik: Angesichts der steigenden Anforderungen sei mehr statt weniger erforderlich. Kern der Debatte zum Aufbaufonds ist die Aufteilung zwischen Zuschüssen und Krediten, ebenso wie die Bedingungen. Ungarn etwa will über die Vergabe des Geldes selbst und ohne Auflagen entscheiden. Sebastian Kurz pochte in einem FAS-Interview jedoch auf konkrete Vergabebedingungen und die richtige „Balance“. Im Vorschlag ist auch eine Abschwächung des Druckmittels bei Verletzungen der Rechtsstaatlichkeit enthalten – nicht die Kommission, sondern der Rat sollte das entscheidende Gremium sein. Kommt es diese Woche zu keiner Einigung, ist ein weiterer Gipfel nötig – vielleicht noch im Juli, spätestens aber im August.
Andreas Lieb aus Brüssel