Nach dem Gespräch mit Bundespräsident Alexander Van der Bellen, dem Oberbefehlshaber des Bundesheeres, ruderte die Ministerin zurück: Die Landesverteidigung soll Kernaufgabe und alle Kasernenstandorte erhalten bleiben. Verkündet worden waren die Reformpläne in einem Hintergrundgespräch. Die Ressortführung - Tanner selbst war nicht anwesend - teilte dort mit, dass die militärische Landesverteidigung kein Schwerpunkt mehr sei - und das Heer auf Cyberdefence und Katastrophenschutz ausgerichtet werden soll. Die von Übergangsminister Thomas Starlinger geforderten 16 Mrd. Euro erachtet man für "nicht realistisch", die von ihm gezeichneten Bedrohungsszenarien für übertrieben.
Konventionelle Angriffe und systemischer Terrorismus, wie in Starlingers Bericht beschrieben, sind für die jetzige Ressortführung keine "eintrittswahrscheinliche Bedrohung" mehr. Sie sieht die großen Herausforderungen für das Heer in Naturkatastrophen, Migration, Pandemien, Cyberdrohungen, einem Blackout oder einzelnen Terrorangriffen. Daher sollte die militärische Landesverteidigung auf das Minimum reduziert, schwere Waffen und Personal (durch natürliche Abgänge) abgebaut und die Kommandostruktur verschlankt werden. Auch Kasernenschließungen wollte man nicht ausschließen.
Bei der Opposition sorgte dies für einen Aufschrei der Empörung: Tanner plane einen "Kahlschlag" beim Heer, Sicherheit und Neutralität seien gefährdet, kritisierte die SPÖ. Die FPÖ sah einen "glatten Bruch des Verfassungsgesetzes" und forderte die Ablöse Tanners. Dass die Pläne just am Tag der Aussage von Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) im Ibiza-U-Ausschuss bekannt wurden, werteten die NEOS als "verzweifelten Versuch einer Nebelgranate".
Angesichts des breiten Protests ruderte Tanner schon am Nachmittag zurück. "Es ist völlig klar, dass die militärische Landesverteidigung die ureigenste Aufgabe des Bundesheeres ist und bleibt, daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern", versicherte die Ministerin und erteilte auch Kasernenschließungen eine Absage. Nach dem Gespräch mit Van der Bellen am Nachmittag schickte die ÖVP-Ministerin noch weitere Zusicherungen nach: So sollen alle Mitarbeiter in Beschäftigung bleiben, schweres Gerät wie Panzer und Artillerie soll es auch weiterhin geben und alle Aufträge im In- und Ausland würden weiterhin erfüllt.
"Weiterentwickeln" will Tanner das Bundesheer demnach im Bereich der Cyber- und ABC-Abwehr sowie im Pionierbereich. Die Führung soll "regionaler, schneller und flexibler" werden. Sie freue sich über die "offene Debatte", sagte Tanner und betonte außerdem, dass der Reformprozess gerade erst beginne.
Der Grüne Koalitionspartner reagierte distanziert. Wehrsprecher David Stögmüller will mit der Ministerin sprechen, erinnerte vorsorglich aber an die verfassungsrechtliche Verpflichtung des Bundesheeres zur Landesverteidigung: "Das bedeutet nicht nur, dass es bei Katastrophen wie der COVID-19-Krise einsatzbereit ist, sondern auch, dass es zum Beispiel unseren Luftraum überwacht, bei Cyberattacken unterstützen kann und unseren europäischen Partnern bei Auslandseinsätzen zur Seite steht."