1 Was genau passiert heute und warum ist es so wichtig?
Heute findet der reguläre Sommergipfel der EU-Länder statt, noch einmal in Form einer Videokonferenz und deshalb von zwei Tagen auf einen verkürzt. Hauptthema ist, wie die Länder zum 750 Milliarden Euro großen Wiederaufbauplan stehen, den die Kommission vorgeschlagen hat.
2 Wie genau soll das Programm aussehen?
Basierend auf einem Vorschlag von Angela Merkel und Emmanuel Macron schlägt die Kommission vor, dass sie auf dem Kapitalmarkt 750 Milliarden Euro aufnimmt für den Aufbaufonds „Next Generation EU“, damit will man die wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise in den Griff bekommen. 250 Milliarden sollen als rückzahlbare Kredite fließen, die doppelte Summe aber als Zuschüsse in die schwer getroffenen Länder kommen. Abwickeln möchte man das über das normale EU-Budget, die Länder sollen Garantien abgeben.
3 Und was genau sind die Streitpunkte?
Derer gibt es viele. Es beginnt damit, dass die EU an sich keine Schulden machen darf, das Konstrukt über Anleihen und normalen Haushalt ist eine Art legaler Trick. Hauptstreitpunkt sind die Zuschüsse. Österreich sowie Dänemark, Schweden und die Niederlande haben sich unter der Bezeichnung „frugal four“ (je nach Standpunkt übersetzbar mit „sparsame“ oder auch „geizige vier“, Anm.) darauf verständigt, dass die riesigen Geldsummen ausschließlich als Kredit fließen sollen. Vorgestern bekräftigte Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) im Nationalrat diesen Standpunkt. Argument ist, dass sich die reicheren Staaten gegen eine Vergemeinschaftung von alten Staatsschulden wehren wollen, konkret im Fall des schwer verschuldeten Italien. Befürworter der Lösung, etwa Angela Merkel, weisen aber darauf hin, dass die nun vorgeschlagene Konstruktion genau das verhindere.
4 Aber warum sollte man anderen Ländern viel Geld schenken?
Zum einen würden aus dem Topf alle etwas bekommen, zumal ja alle von den Coronafolgen betroffen sind – Österreich mehr als vier Milliarden Euro. Zum anderen, so das Argument, sei für manche Länder der Schaden so groß, dass ihnen weitere Kredite nichts bringen würden. Die EU will für die Zukunft verhindern, dass die Krise asymmetrische Folgen hat, dass also am Ende reiche Länder wie Deutschland als dominierende Sieger dastehen und ärmere vollends abgehängt werden. Italien ist neben Deutschland Hauptexportpartner für Österreich – geht dort die Wirtschaft zu Bruch, hätte das auch unmittelbare Folgen für Österreich.
5 Und wer soll das je zurückzahlen?
Auch darüber gibt es Streit. Der Vorschlag sieht vor, dass in den kommenden sieben Jahren nur die Zinsen bedient werden, von 2028 bis 2058 soll dann das Geld zurückfließen. Kritiker monieren (unter Verweis auf das Schlagwort „Next Generation EU“), dass die kommenden Generationen zur Kasse gebeten werden. Laut Plan könnten auch neue Eigenmittel der EU herangezogen werden, sodass sich alles quasi „von alleine“ finanzieren ließe. Doch CO2-Abgabe, Plastiksteuer, Binnengrenzenabgabe oder andere kühne Vorhaben brauchen ewig bis zur Verwirklichung und sogar dann ist der Effekt fraglich. Werden Garantien schlagend, müsste jedes Land aber „nur“ seinen Anteil dafür aufwenden – für Deutschland wären das rund 135 Milliarden Euro, für Österreich etwa 16 Milliarden.
6 Sind all diese Zahlen realistisch?
Nein, und auch das ist ein großes Problem. Die Kommission nimmt als Basis für die Berechnung die Werte aus dem Jahr 2018, dadurch ergibt sich eine gute Vergleichsmöglichkeit. Tatsächlich aber werden alle Beträge höher sein – aus den 750 Milliarden könnten dann am Ende rund 809 Milliarden werden. Völlig unklar ist, wie sich die Wirtschaftsleistung der EU-Länder nach Corona überhaupt in den kommenden Jahren entwickelt.
7 Aber gibt es nicht ohnehin schon ein Paket?
In der Tat wurde bereits ein 540 Milliarden Euro schweres Hilfspaket beschlossen; dieses ist die Soforthilfe. Was heute auf der Agenda steht, ist die mittel- und langfristige Aufbauhilfe für Europa.
8 Wie verhalten sich denn die Ostländer?
Auch das ist sehr schwierig. Hauptprofiteure des Pakets sind Länder wie Italien und Spanien, die Länder im Osten fürchten, dass ihnen Mittel im normalen Haushalt gekürzt werden, obwohl das eigentlich nicht geplant ist. Wegen der extrem langen Rückzahlungszeit erwächst ihnen aber ein neues Problem: Länder wie Polen (das aber viel aus dem Topf bekommen würde) sind wirtschaftlich auf einem guten Weg und könnten in absehbarer Zeit von Netto-Empfängern zu Netto-Zahlern mutieren – und müssten dann auch in die Tasche greifen.
9 Was wird also heute herauskommen?
Ratspräsident Charles Michel hat es schon in seinem Einladungsschreiben formuliert: Die Konferenz soll ein „entscheidender Trittstein“ werden, bis zu einem Kompromiss sei es noch weit. Angela Merkel, die im Juli den Ratsvorsitz übernimmt, steigt in ihrer Regierungserklärung deutlich kräftiger aufs Gas: Der neue Fonds sei „ein dringendes Gebot der Stunde“. Die Länder sollten „im Geiste des Kompromisses“ handeln: „Wir arbeiten entschlossen der Gefahr entgegen, dass sich dauerhaft ein tiefer Spalt durch Europa zieht.“