Es war einer der wenigen Punkte aus dem Austrittsabkommen, der plangemäß abgewickelt wurde: Gestern traf der britische Premier Boris Johnson mit der obersten EU-Etage – Ursula von der Leyen (Kommission), Charles Michel (Rat) und David Sassoli (Parlament) – zusammen und gemeinsam versuchte das Quartett, eine Standortbestimmung zu machen. Mehr stand nicht im Drehbuch, mehr wurde es auch nicht. Zwei Stunden waren für das "High-Level-Meeting" vorgesehen, dem Vernehmen nach endete es deutlich früher; man hatte sich also offensichtlich keine großen Neuigkeiten mitzuteilen.

Johnson bestätigte ein letztes Mal und hoch offiziell, dass er nicht um eine Verlängerung der Übergangszeit fragen werde. Auf EU-Seite nahm man das bedauernd zur Kenntnis, wunderte sich aber längst nicht mehr. Bekanntlich hatte Johnson das sogar in einem eigenen Gesetz festschreiben lassen und zuletzt war es der britische Staatssekretär für Kabinettsangelegenheiten, Michael Gove, der vergangenen Freitag die Tür schloss: Er könne "formal bestätigen, dass das Vereinigte Königreich die Übergangsphase über das Jahresende hinaus nicht verlängern wird".

In einer gemeinsamen Erklärung hielt man nach dem virtuellen Treffen fest, dass nun umso eher ein „neuer Schwung“ erforderlich sei. Leicht säuerlicher Nachsatz: „Wenn möglich, sollte dazu eine frühe Verständigung auf die Grundsätze gehören, die jeglichem Abkommen zugrunde liegen.“ Mit dem Sommerurlaub schaut es für die Verhandlungsteams schlecht aus, im Juli und wohl auch im August soll es zu wöchentlichen Verhandlungsrunden kommen. Um einen endgültigen Ausstieg des Königreichs mit einem Vertrag zu ermöglichen, müssten alle Fragen bis Ende Oktober geklärt sein.

In London hofft man immer noch darauf; Johnson stellte aber klar, dass er notfalls einen „No-Deal-Brexit“ hinnehmen werde. In Brüssel geht man davon aus, dass sich nach den ständigen Abweichungen der Briten vom Ausstiegsvertrag eine Gesamtlösung auf keinen Fall ausgeht. Eher könnte es ein „Sockelabkommen“ geben, das die wichtigsten Punkte regelt, ergänzt durch eine Vereinbarung, die die aktuellen Standards zumindest eine Zeit lang aufrechterhält.

Kein Modell nach Schweizer Muster

Streitpunkte sind unter anderem Fischerei, Gerichtsbarkeit oder Beihilfen. Das „Schweizer Modell“, mit zahlreichen Einzelverträgen, werde keinesfalls angestrebt, heißt es dazu in EU-Diplomatenkreisen.

Am Abend zeigte sich Johnson übrigens optimistisch, dass doch noch alles gut werden könne: "Ich glaube nicht, dass wir so weit voneinander entfernt sind", sagte er nach der Konferenz. "Was wir jetzt brauchen, ist ein bisschen Pep in den Verhandlungen", sagte Johnson. "Je schneller wir es hinbekommen, umso besser." Er sehe "keinen Grund, warum wir das nicht bis Juli erledigt haben können", sagte der Regierungschef. Er wolle nicht, dass sich die Verhandlungen bis in den Herbst oder Winter hinzögen.

Großbritannien war am 31. Jänner aus der EU ausgetreten. In der Übergangsphase bis Jahresende bleibt das Land noch im EU-Binnenmarkt und in der Zollunion. In dieser Zeit wollen beide Seiten insbesondere ein Handelsabkommen vereinbaren. Die EU hatte Großbritannien dabei eine Freihandelszone ohne Zölle und Einfuhrquoten in Aussicht gestellt. In bisher vier Verhandlungsrunden gab es aber keine wesentlichen Fortschritte.