Ein Satz genügte, um dem Ganzen die passende Überschrift zu geben. „Wir wollen mit Wumms aus der Krise kommen“, sagte Finanzminister Olaf Scholz (SPD) und übernahm damit am Donnerstag die Deutungshoheit. Rund 21 Stunden hatten die Spitzen der Großen Koalition beraten. Heraus kam das größte Konjunkturpaket in der Geschichte Deutschlands: 130 Milliarden Euro will das Land bis Ende des kommenden Jahres mobilisieren, um die Folgen der Corona-Krise zu meistern. „Das ist eine Menge an Investitionskraft“, sagte Scholz. In Deutschland hat es Wumms gemacht.
„Wir haben ein gutes Ergebnis erzielt“, sagte Kanzlerin Angela Merkel und fügte hinzu: „Wir erhoffen uns eine breite Belebung für die Wirtschaft insgesamt.“ Nach den langen Beratungen klang das merkwürdig müde. Immerhin, es war ein Abschied: Die schwäbische Hausfrau ist Geschichte. Deutschland lässt plötzlich Milliarden regnen. Neben Merkel saß Scholz, der Vizekanzler, und setzte verbal die Akzente. Er sprach von der „notwendigen Kraft“ und „der notwendigen Dimension“. Wo in der Großen Koalition sonst Ergebnisse zerredet werden, herrschte nun eine andere Stimmung.
Es war ein Geben und Nehmen. Das Konjunkturpaket umfasst 57 einzelne Punkte, gestützt wird nicht nur die Wirtschaft, gestärkt werden auch Familien, Verbraucher und Sozialstaat. Zentrale Elemente sind:
- Eine Absenkung der Mehrwertsteuer befristet auf das zweite Halbjahr 2020 um drei Punkte auf 16 Prozent, um den privaten Konsum anzukurbeln. Ein Anliegen der SPD.
- Familien erhalten einen Bonus von 300 Euro je Kind. Noch ein Punkt für die SPD, mit dem aber auch die CSU und Nordrhein-Westfalens Regierungschef Armin Laschet (CDU) leben können.
- Die Förderung für den Kauf von Elektroautos wird bis Ende 2021 auf 6000 Euro verdoppelt. Ein kleiner Erfolg für die CSU.
- Die Sozialabgaben für Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung werden auf 40 Prozent des Bruttolohns gedeckelt. Das entlastet Beschäftigte und Firmen.
- Überbrückungshilfen über 25 Milliarden Euro für kriselnde Firmen werden bereitgestellt. Das stützt die Wirtschaft.
- Die Öko-Strom-Abgabe wird gedeckelt, um nach Atom- und Kohleausstieg den Anstieg der Stromkosten zu bremsen. Das freut Verbraucher und Wirtschaft.
- Der Bund gleicht die in der Krise schwindenden Gewerbesteuereinnahmen der Kommunen mit sechs Milliarden Euro aus. Ebenso unterstützt er die Finanzierung des öffentlichen Nahverkehrs (ÖPNV). Das freut Länder und Gemeinden. Gefühlt gab es in Deutschland am Donnerstag nur Gewinner.
Kernpunkt ist ein Zukunftspaket von 50 Milliarden Euro, um den Anschluss bei neuen Technologien zu schaffen. Im Inneren wirkt der Exportchampion Deutschland auffallend ausgezehrt. Marode Brücken und eine brüchige Bahninfrastruktur zeugen davon. Außerhalb Berlins schwindet der Mobilfunkkontakt, von Breitbandverbindungen ganz zu schweigen. Deutschland hinkt bei der Digitalisierung hinterher. Nirgendwo zeigt sich das mehr als in der Schlüsselindustrie: dem Autobau. Elektroauto und autonomes Fahren – die deutschen Hersteller verlieren den Anschluss. Vor den Toren Berlins zieht der amerikanische E-Autobauer Tesla sein erstes Werk in Europa hoch: Eine Kampfansage. Nun macht Deutschland elektromobil. So ist es ein Symbol, dass die Regierung auf Kaufanreize für Autos mit Verbrennermotor verzichtet.
Ökonomische Dominanz
Ganz ungefährlich ist das Ganze nicht. 130 Milliarden Euro stellt das Land insgesamt bereit. Zum Vergleich: Die EU macht 750 Milliarden Euro an Corona-Hilfen flott – für ganz Europa. Der EU droht eine ökonomische Dominanz Deutschlands. Nicht zufällig nannte die Kanzlerin „Klima, Digitalisierung und Elektromobilität“ als zentrale Elemente des Zukunftspakets, exakt jene Punkte mit der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auch Europa voranbringen will.
Von den 130 Milliarden Euro wird der Bund 120 Milliarden Euro stemmen. „Wir können uns das leisten, weil wir in der Vergangenheit gut gewirtschaftet haben“, sagte Scholz. Das Paket ist auch ein Erfolg für ihn. Lange war der Minister für seine sparsame Buchführung innerhalb der eigenen SPD kritisiert worden. Nun managt er das Milliardenausgabenprogramm. Sein Auftritt neben der Kanzlerin war perfekt inszeniert. Und so durfte sich auch Scholz als Gewinner fühlen, noch zweifelt die linke Parteiführung an ihm als Kanzlerkandidaten.