Der Ablauf scheint stets der Gleiche, nur die Methode der Gewaltanwendung variiert: Schlagstock, Gummigeschosse, Pfefferspray oder in schwarze Lederhandschuhe gehüllte Hände, die den Betroffenen/die Betroffene paralysieren. Dann folgt das brutale Niederringen auf den Boden. Am Ende liegt das Opfer hilflos auf dem Bauch, die Hände auf dem Rücken, die Knie von Polizisten im Nacken.
So starb George Floyd, so ergeht es vielen, die in diesen Tagen in Washington, New York und anderen US-Metropolen gegen den sinnlosen Tod des Afroamerikaners auf die Straße gehen.
US-Präsident Donald Trump droht mit dem Militär, sein eigener Verteidigungsminister Mark Esper spricht sich dagegen aus. Und Europa zeigt sich besonders entsetzt über das brutale Vorgehen der amerikanischen Exekutive während der anhaltenden Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt in den USA. Exzessive Gewalt – auch gegen Medienvertreter – scheint mittlerweile auf der Tagesordnung. Warum diese Brutalität?
Dafür gibt es mehrere Gründe:
Erstens sind die historischen Ursprünge amerikanischer Polizeibehörden eng verknüpft mit der gewaltsamen Einschüchterung diverser Bevölkerungsschichten. Die ersten Polizeieinheiten entstammten lokalen, privaten Ordnungsgruppen, die in den nördlichen Ballungszentren wie Boston und New York in den 1830er- und 1840er-Jahren aufgestellt wurden,um unter Einwanderern und Arbeitern für Ordnung zu sorgen. Irischen und Italienischen Einwanderern wurde damals eine besondere „kriminelle Energie“ nachgesagt. Noch finsterere Wurzeln hat die Polizei in den Südstaaten. Seit Beginn des 18. Jahrhunderts etablierten sich dort sogenannte „Sklavenpatrouillen“, um von den Plantagen entflohene Sklaven wieder einzufangen. Lynchjustiz und Folter gehörten dazu. Nach dem Ende der Sklaverei 1865 wurden lokale Friedensrichter und Sheriffs weiterhin gezielt eingesetzt, um die schwarze Bevölkerung zu unterdrücken. Das Bürgerrechtsgesetz von 1964 initiierte einen langsamen Umdenkprozess und Reformen in der Exekutive der Südstaaten.
Zweitens erlauben die meisten Dienstvorschriften der Polizei und anderen Ordnungskräften wie Sheriffs dezidiert die Anwendung von Gewalt in ihrer polizeilichen Auftragserfüllung, ohne gewaltfreien Alternativen den Vorrang zu geben. Laut einer NGO-Studie aus dem Jahr 2016, die 100 Polizeibehörden in US-Großstädten im Detail untersuchte, schreiben nur 44 Dienstvorschriften vor, bei einer Konfrontation mit einem Verdächtigen zuerst diverse Deeskalationsmethoden zu versuchen. Nur 28 von 100 Behörden untersagen die Anwendung von gefährlichen Würgegriffen. In 33 Städten in den USA, inklusive New York, darf ein Polizist von seiner Dienstwaffe ohne verbale Warnung Gebrauch machen. Nur 17 untersagen das Feuern auf sich in Bewegung befindende Fahrzeuge. Lediglich 42 Behörden schreiben vor, dass Waffengewalt nur angewandt werden kann, wenn alle anderen Alternativen ausgeschöpft wurden. Verstärkt wird all dies durch eine oft laxe Dienstaufsicht und chronische Überforderung von Beamten, gepaart mit einem äußerst gefährlichen Dienstalltag.
Viele Polizisten haben Dienstverträge, die besagen, dass nach vier bis sechs Jahren zum Teil schwere dienstliche Vergehen automatisch aus Datenbasen zu löschen sind. Ein Polizist, der wegen eines dienstlichen Vergehens entlassen wird, kann sich nach wenigen Jahren für den polizeilichen Dienst anderswo wiederbewerben.
Drittens werden seit den 1990er-Jahren die Polizeibehörden kontinuierlich „militarisiert“. Das macht es Beobachtern immer schwerer, Militär und Polizei auseinanderzuhalten: Unter dem sogenannten „1033 Program“ wurden seit 1997 fast 7,4 Milliarden Dollar an militärischer Ausrüstung vom US-Verteidigungsministerium an über 8000 Polizeibehörden geliefert. Vieles davon ist nicht umstritten: Funkgeräte, Uniformen, kugelsichere Westen oder Decken. Anderes dagegen schon. So wurden gepanzerte Minenfahrzeuge, Sturmgewehre, militärische Scharfschützengewehre und sogar Granatwerfer an die Polizei geliefert.
Wie diese Tage zeigen, polarisiert das martialische Auftreten und wirkt oft als Katalysator für exzessive Gewaltanwendung auf beiden Seiten. Laut einer wissenschaftlichen Studie von 2017 gibt es sogar einen klaren Zusammenhang zwischen dem exzessiven Gebrauch von Schusswaffen, der zum Tod von Verdächtigen führte, und der militärischen Ausrüstung. Andere Studien wiederum widerlegen das. Unbestritten dagegen ist, dass Schwarze von Polizeigewalt in den USA besonders betroffen sind. Einer Statistik der „Washington Post“ zufolge wurden in den USA im Vorjahr 1004 Menschen von Polizisten erschossen, ein Viertel davon, 235, waren Afroamerikaner.
unserem Korrespondenten Franz-Stefan Gady aus New York