Das Ende war abzusehen. Seit dem Aufflammen von Bürgerprotesten vor einem Jahr in der früheren britischen Kronkolonie Hongkong gegen die Peking-treuen Machthaber der Finanzmetropole mahnten Analysten, dass die chinesische Führung bei der ersten günstigen Gelegenheit die noch existierenden politischen Freiheiten in der Sonderverwaltungszone massiv beschneiden wird.
Dies geschah nun letzte Woche. Der chinesische Volkskongress billigte ein neues Sicherheitsgesetz in Hongkong, das jegliche politische Aktivitäten, die nicht im Einklang mit der kommunistischen Partei stehen, unter Strafe stellt. Proteste gegen Peking können in Zukunft als subversive, separatistische oder sogar terroristische Handlungen eingestuft werden. Regimekritische Bürger droht die Auslieferung an die Volksrepublik. Verabschiedet soll das neue Gesetz im August werden. Das Parlament Hongkongs wurde hierbei umgangen. „Das Hongkong, das wir kennen, wurde am 21. Mai zu Grabe getragen“, meinte eine Demokratieaktivistin im Gespräch mit der Kleinen Zeitung am Samstag.
Pekings Schritt verletzt die in den 80er- und 90er-Jahren ausgehandelte Autonomievereinbarung, das sogenannte Grundgesetz, das die demokratischen Grundrechte der Hongkonger unter dem Grundsatz „ein Land, zwei Systeme“ bis 2047 sichern soll. Das Gesetz trat nach der Rückgabe der britischen Kronkolonie an China 1997 in Kraft. Seit dieser Zeit genießt Hongkong einen speziellen Rechtsstatus. So hat die Stadt eigene Sitze in der Welthandelsorganisation WTO sowie im Asien-Pazifik-Forum. Auch gelten die gegen die Volksrepublik verhängten US-Strafzölle bis dato nicht für Importe aus Hongkong. Die Bürger Hongkongs genießen größere Visafreiheiten als im übrigen China.
Dieser spezielle Status wird sich nun womöglich schlagartig ändern. „Hongkong ist nicht mehr ausreichend autonom, um eine spezielle Behandlung zu verdienen“, sagte der amerikanische Präsident Donald Trump am Freitag und kündigte ein Ende der Sonderbehandlung Hongkongs an. „China hat das Versprechen ,ein Land, zwei Systeme‘ ersetzt durch ,ein Land, ein System‘.“ Details zu weiteren US-Schritten sind bis dato nicht bekannt, doch betreffen sie laut Trump mit wenigen Ausnahmen „das ganze Ausmaß“. Die chinesische Regierung und Peking-treue Politiker in Hongkong wiesen die Kritik Trumps vehement zurück und unterstrichen ihre weitere Unterstützung für „ein Land, zwei Systeme“.
Machtkampf verstärkt sich
Der Schlagabtausch zwischen den USA und China ist Teil eines fortwährenden Machtkampfes der zwei Großmächte, der sich in den letzten Monaten durch die Covid-19-Pandemie nur verstärkte. Donald Trump steht unter massivem innenpolitischen Druck wegen des Missmanagements der Gesundheitskrise und versucht, die Schuld für die Pandemie auf China abzuwälzen. Zuletzt stellte Trump eine Visabegrenzung für chinesische Master-Studenten in den Raum. Anti-chinesische Sentiments breiten sich in Washington unter der politischen Elite beider Parteien verstärkt aus.
China hingegen nutzt die Gunst der Stunde und praktiziert im Coronaschatten harte Realpolitik in Asien. So überschritten Truppen der Volksbefreiungsarmee diesen Monat die indisch-chinesische Grenze im Himalaya, um chinesische Besitzansprüche geltend zu machen. Zusätzlich unterstrich Peking Besitzansprüche im Südchinesischen Meer durch die Schaffung von zwei neuen administrativen Bezirken. Auch schickte die kommunistische Regierung Kriegsschiffe vor die Küste Vietnams und Malaysias, zwei Länder, die ebenfalls Territorium im Südchinesischen Meer reklamieren.
Die größten Konsequenzen betreffen jedoch Taiwan. Das Ende von „ein Land, zwei Systeme“ in Hongkong bedeutet auch das Ende eines möglichen ähnlichen Modells für die friedliche Wiedervereinigung Taiwans mit dem Festland. Tatsächlich strich der chinesische Premier Li Keqiang das Wort „friedlich“ aus seiner Ansprache vor dem Volkskongress, in der er abermals die Wiedervereinigung mit Taiwan als eines der obersten Ziele der Partei deklarierte. China hielt in den letzten Wochen mehrmals Militärmanöver vor der Küste des Inselstaates ab. Mit der langsamen Einverleibung Hongkongs in das kommunistische System schwinden die Aussichten einer friedlichen Lösung des Konfliktes zwischen Peking und Taipeh merklich.