Der britische Premierminister Boris Johnson gerät nach der Rückendeckung für seinen Chefberater Dominic Cummings selbst immer mehr unter Druck. Neben der Opposition forderten inzwischen über ein Dutzend Parlamentarier aus Johnsons Konservativer Partei sowie Kirchenvertreter und Ärzte den Rücktritt von Cummings.
Cummings wird vorgeworfen, mit einer Reise von London zu Familienangehörigen ins rund 430 Kilometer entfernte Durham Ende März gegen Ausgangsbeschränkungen in der Coronakrise verstoßen zu haben. Die Affäre dürfte Thema einer Kabinettssitzung am Montag sein.
Der Premier behandle die Menschen "wie Trottel" und "ohne Respekt", twitterte der Bischof von Leeds, Nicholas Baines. Außer ihm kritisierten noch viele andere Geistliche der Kirche von England Johnsons und Cummings' Verhalten.
Auch in der Tory-Partei bröckelt die Unterstützung. Der frühere Staatssekretär Paul Maynard nannte das Verhalten des Chefberaters "völlig unhaltbar". Der Abgeordnete David Warburton sagte dem Sender BBC, Cummings "schädigt die Regierung und das Land". Der Mediziner Dominic Pimenta twitterte ein Foto von sich in voller Schutzausrüstung und schrieb: "Wenn er (Cummings) nicht aus dem Dienst ausscheidet, dann mache ich das."
Cummings gab als Grund für seine Reise an, er habe keine andere Möglichkeit gehabt, die Betreuung seines vier Jahre alten Sohnes sicherzustellen. Er habe für die Betreuung sorgen wollen, weil seine Frau an Covid-19 erkrankt gewesen sei und er selbst auch mit einer Ansteckung habe rechnen müssen.
Cummings sei "den Instinkten eines jeden Vaters gefolgt", sagte Johnson am Sonntag. Dafür könne er ihn nicht an den Pranger stellen. Nach den Worten Johnsons hat sein Chefberater "in jeder Hinsicht verantwortlich, legal und mit Integrität" gehandelt.
Kritik auch von Beamten
Eine ungewöhnlich kritische Bemerkung über Premierminister Boris Johnson vom offiziellen Account der britischen Berufsbeamten (Civil Service) hat am Sonntagabend in sozialen Medien für Aufsehen gesorgt. Darin hieß es: "Arrogant und beleidigend. Können Sie sich vorstellen, wie es ist, mit diesen Wahrheitsverdrehern zusammenzuarbeiten?"
Wer die Nachricht geschrieben hatte, war zunächst unklar. Sie bezog sich offenbar auf eine Pressekonferenz, bei der Johnson seinen umstrittenen Berater Dominic Cummings gegen Vorwürfe verteidigte, die Lockdown-Regeln des Landes verletzt zu haben.
Die Regierung kündigte an, dem kritischen Tweet nachzugehen. "Ein nicht autorisierter Tweet wurde heute Abend von einem Regierungskanal gesendet. Die Nachricht wurde entfernt und wir untersuchen die Angelegenheit." Doch damit handelte sie sich noch mehr Spott ein. Harry-Potter-Autorin J.K. Rowling antwortete darauf: "Wenn Sie rausgefunden haben, wer es war, lassen Sie es uns wissen, ich will denen ein Jahresgehalt geben." Ex-Fußballstar und BBC-Moderator Gary Lineker twitterte: "Eine nicht autorisierte Reise wurde von einem Regierungsberater unternommen. Der Berater wird nicht entfernt und wir untersuchen die Angelegenheit nicht."
Britische Medien titelten am Montag: "Auf welchem Planeten leben die?"