Die jüngste Causa ist noch taufrisch: Das Magazin „profil“ veröffentlicht im aktuellen Heft einen delikaten Mailverkehr vom Juni 2019 zwischen Justiz-Sektionschef Christian Pilnacek und dem Chef der Oberstaatsanwaltschaft Wien. Beide Herren klagen über die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA). Pilnacek kündigt am Ende „aktive Öffentlichkeitsarbeit“ an, um die Leistungen der WKStA zu „hinterfragen“.
Spitz auf Knopf
Zu dieser Kampagne kam es zwar nicht, die ärgsten Wickel zwischen Pilnacek und der WKStA sind inzwischen befriedet. Aber auf die Opposition wirkte der Bericht wie ein Schlüsselreiz - FPÖ und Neos fordern jetzt wieder einmal Pilnaceks Abberufung, die SPÖ zeigt sich „verstört“. Dass die alten Mails jetzt auftauchen, ist freilich alles andere als ein Zufall. Denn in den nächsten Tagen steht es Spitz auf Knopf: Die grüne Justizministerin Alma Zadic muss entscheiden, ob sie Pilnacek als Chef der Strafrechtssektion im Justizministerium (BMJ) verlängert.
Der machtbewusste Jurist und mächtigste Sektionschef des Hauses hat sich in den letzten Jahren durchaus lustvoll jede Menge Feinde gemacht, die seine Absetzung mit Freuden sähen. Zadic hat bereits angekündigt, ihren Entschluss erst am letzten Tag der Frist, nämlich am 31. Mai, öffentlich bekanntzumachen.
Er steht für ein System
Es geht um weit mehr als nur eine Personalie im BMJ. Denn Pilnacek, der unter Zadics Vorvorgänger Josef Moser auch schon Generalsekretär des Ministeriums war, steht als Spitzenbeamter an einem sensiblen Brennpunkt unseres Staates, nämlich an der Nahtstelle zwischen Politik und Justiz. Und er ist Symbolfigur für das in Teilen der Justiz wenig geliebte Weisungsrecht des Ministers gegenüber den Staatsanwälten.
Dieses Weisungsrecht wurde zwar durch die Einführung des „Weisungsrates“ im Jahr 2014 entschärft, der in der Praxis viele Weisungen verhinderte. Doch den Kritikern reicht das nicht. Die SPÖ forderte erst dieser Tage wieder einen „Bundesstaatsanwalt“, bei dem der Weisungszug enden soll - also eine Entmachtung des Ministers.
Der Sack und der Esel
Diese Reibereien spielen immer mit, wenn Pilnacek kritisiert wird: Man schlägt den Sack und meint den Esel. Doch der so gar nicht geschmeidige und auch nicht konfliktscheue, sondern oft sture und aufbrausende Sektionschef hat fraglos das Seine dazu beigetragen, um über die Jahre zum beliebtesten Reibebaum in Justizkreisen zu werden. „Wer mich kennt, kennt auch meine mitunter zutage tretende Emotionalität“, gab er im Herbst 2018 dem BVT-Untersuchungsausschuss zu Protokoll.
Bei oberflächlicher Betrachtung kann man Pilnacek als erprobten ÖVP-Pflichtverteidiger brandmarken. Er verteidige „die Interessen der Regierung und nicht die des Rechtsstaates“, befand schon 2011 Peter Pilz.
Allerdings ist das bestenfalls die halbe Wahrheit. Pilnacek ist eher ein absolut loyaler Diener seines jeweiligen Herrn (oder eben der Dame) an der Spitze des Ministeriums. Um die jeweilige „Hausräson“ zu stützen, ist er bereit, den Blick auf die Fakten bis an die Grenze des Interpretierbaren zu dehnen.
Elf Minister, alle Farben
Die nicht weniger als elf Justizminister seit Nikolaus Michalek, denen Pilnacek in den letzten zwei Jahrzehnten an führender Stelle diente, kamen aus fast allen Parteien - von Dieter Böhmdorfer (FPÖ) über Karin Gastinger (BZÖ) und Maria Berger (SPÖ) bis zu vielen ÖVP-Amtsträgern. Und jetzt eben zur ersten grünen Ministerin Zadic. Allen war er ein ebenso schwieriger wie nützlicher Partner.
Mit Böhmdorfer trug Pilnacek wilde Gefechte aus. Berger verteidigte er gegen Anwürfe der ÖVP-Innenministerin Maria Fekter. Bei Josef Mosers oft impulsiven Vorstößen glättete er diskret die Wogen. Pilnacek konnte immer als Blitzableiter vorgeschickt werden, um Pfeile vom Minister abzulenken, wenn es eng wurde. Andererseits ist er längst eine kaum umschiffbare „graue Eminenz“ im Justizpalast.
Von Bawag bis Buwog
Von Bawag bis Buwog, von Strasser bis Grasser: In allen wichtigen Causen der letzten Jahre zog Pilnacek im Hintergrund die Fäden. Mehrfach entwickelte er ein Eigenleben und musste zurückgepfiffen werden - so etwa, als er im Mai 2012 eine Art Mediation bei Korruptionsstrafsachen vorschlug. Dies sei „die persönliche Auffassung des Sektionschefs und deckt sich nicht mit der Meinung der Justizministerin“, ließ die damalige Ressortchefin Beatrix Karl via offizieller BMJ-Aussendung klarstellen.
Zadic kaufte dem Sektionschef gleich zu Amtsantritt die Schneid ab, indem sie ihm per Weisung verbot, künftig direkte Gespräche mit Beschuldigten zu führen. Pilnacek hatte sich in fragwürdiger Art mit den Casinos-Aufsichtsräten Walter Rothensteiner und Josef Pröll getroffen. Auch sein deftiger Hinweis in der berühmten Eurofighter-Dienstbesprechung vom 1. April 2019 („Setzts euch hin und derschlagts es“ - gemeint einige Anklagepunkte) lassen ihn als sinistren Manipulator erscheinen. Ein ganzes „System Pilnacek“ wittert gar das von der „Liste Jetzt“ gegründete Online-Medium „ZackZack“: Es gehe subtil um implizite Weisungen und Wohlverhalten in heiklen Causen.
Ein Gutteil der Kritik zerbröselt aber bei näherem Hinsehen. So warf man dem Juristen die Schönung von Protokollen vor, obwohl er nur das forderte, was im Staatsanwaltsgesetz steht, nämlich „das Ergebnis“ von Dienstbesprechungen festzuhalten. Zadic bescheinigte ihrem Sektionschef in einem Radiointerview „großartige Arbeit“. Dass im Fall der Ablöse kaum ein Jurist von seinem Kaliber und seiner Erfahrung als Ersatz bereitstünde, könnte auch eine Rolle spielen.