„Ich wollte nach zehn Wochen am Ballhausplatz wieder Kontakt aufnehmen mit den Bundesländern und will daran festhalten.“ Mit diesen Worten rechtfertigte gestern Bundeskanzler Sebastian Kurz seinen umstrittenen Besuch im Kleinwalsertal. Das Kleinod mit seiner besonderen, prekären Lage sei bewusst gewählt worden, so Kurz gegenüber der „Kleinen Zeitung“. Es sei als Zeichen der bevorstehenden deutsch-österreichischen Öffnung gedacht gewesen.
Bei der Ankunft im Ort seien mehrere Bewohner aus ihren Häusern und Hotels geströmt und hätten ihn begrüßt. Er habe mehrfach versucht, auf die ihn umringenden Menschen einzuwirken und habe sie ersucht, Abstand zu halten. Das sei auf allen Videoaufnahmen deutlich wahrnehmbar. In den Abendstunden erklärte Kurz in der Zib2, dass man Konsequenzen aus den Vorfällen ziehen werde. Für künftige Auftritte in den Bundesländern werde ein neues Konzept erstellt werde. So sollten Bürger nur noch im Zuge von Sprechstunden in Kontakt mit Politiker treten dürfen, die Ankunftszeiten werde man nicht mehr veröffentlichen. Für Kameraleute und Fotografen werde man Bodenmarkierungen einführen.
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Es habe sich, so der Kanzler, um keine öffentliche Versammlung gehandelt. „Ich hatte 50 Meter vom Auto zur Halle zu überwinden und musste da durchgehen.“ Allerdings ist auf den Videos auch zu sehen, wie der Kanzler von einem Stiegenaufgang herab und flankiert von örtlichen Funktionären zu den versammelten, eng beieinander stehenden Bürgern spricht. Er, Kurz, wolle den Betroffenen im Kleinwalsertal keinen Vorwurf machen. „Man muss bedenken, dass diese Menschen zehn Wochen völlig isoliert und abgeschnitten waren, ohne einen Infektionsfall. Die waren eingesperrt und haben eine andere Sensibilität, was Abstand. Risiko und Gefährdung betrifft.“ Kurz betont, dass er auf das Abstandhalten hingewiesen habe. Das zeigt auch ein Video.
Der Kleinwalsertaler Bürgermeister Andi Haidersuchte um Verständnis für die Emotion der Bevölkerung, die für mehrere Wochen unter "De facto-Quarantäne" gestanden sei. Auch habe die Gemeinde im Vorfeld sehr wohl Vorkehrungen getroffen. Haid betonte, dass der Kurz-Besuch von allem Anfang an als Arbeitstreffen geplant worden sei, nicht als öffentliche Veranstaltung.
Opposition empört
Die Opposition ist dennoch empört. Die SPÖ will eine parlamentarische Anfrage einbringen. Die FPÖ spricht vom "Lebensgefährder" Kurz. Der Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) zeigte sich gegenüber dem "Antenne"-Privatradio "erschüttert" und glaubte zunächst an einen "fake": "Wir leben in besonderen Zeiten, in denen Begräbnisse und Hochzeiten limitiert sind, der Mindestabstand zum Dogma geworden sei, Sport- und Kulturveranstaltungen untersagt würden, "und dann macht der Bundeskanzler eine PR-Tour ohne Ordnungskräfte und Regulierung". Kaiser: "Das ist ein Schlag ins Gesicht derer, die sich an die Regeln halten. Das tut mir im Herzen weh!"
Es habe sich bei der Rudelbildung „großteils um Großfamilien gehandelt, die in Höfen oder Hotels unter einem Dach leben“, verteidigte sich der Kanzler. Das offizielle Treffen mit den Funktionären habe dann in einer 400 Quadratmeter großen Halle stattgefunden, in zwei getrennten Sitzungen mit jeweils zwölf Teilnehmern, die zueinander vorschriftsmäßig Abstand gewahrt hätten, so sehr, „dass man sich in der riesigen Halle fast verloren vorkam.“
Zum Vorwurf, er sei als Regierungschef der Maskenpflicht nicht nachgekommen, beteuerte der Kanzler, dass er im Auto und später in der Halle „selbstverständlich eine Maske getragen“ habe, nicht allerdings auf dem Platz im Kontakt mit den Bürgern: „Das schreibt auch niemand vor. Ich habe im Freien noch nie eine Maske getragen.“
Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) hat eine Stellungnahme zum Besuch von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) im Kleinwalsertal am Donnerstag verweigert. Auf mehrere Nachfragen zur nicht eingehaltenen Abstandsregel bei der Veranstaltung in der Vorarlberger Gemeinde antwortete Anschober bei einer Pressekonferenz ausweichend oder gar nicht.
Ob diese Bilder die Akzeptanz der Anti-Corona-Maßnahmen beeinträchtigen könnten, beantwortete Anschober bei einer Pressekonferenz am Donnerstag nicht. Auch die Frage, ob die Exekutive hätte einschreiten müssen, ließ der für die Corona-"Lockerungsverordnung" zuständige Minister unbeantwortet. Anschober erläuterte nur allgemein, wie wichtig es sei, jetzt eine zweite Infektionswelle zu vermeiden und fügte hinzu: "Das gilt für ganz Österreich."
Sehr wohl Kritik übte Anschober an "einzelnen Rednern" bei der Nationalratssitzung am Mittwoch. Diese hätten nämlich den Eindruck vermittelt, "dass die Krise vorbei ist". Vor dieser Haltung könne er aber nur warnen, so der Minister: "Das Virus ist da, das ist nicht auf Urlaub gefahren."
Die von NEOS-Wirtschaftspsrecher Sepp Schellhorn angekündigte Anzeige wegen des Auftritts im Kleinwalsertal kommentierte Anschober knapp: "Wenn ein Bürger eine Anzeige macht, wird die von der Exekutive erhoben und aufgeklärt."