Ingrid Korosec besitzt eine bewundernswerte Selbstdisziplin. Täglich steht sie knapp vor fünf Uhr auf, um Morgensport zu betreiben. Früher ging die bald 80-jährige Chefin des ÖVP-nahen Seniorenbunds ins Fitnessstudio um die Ecke, nun hat sie sich einen Crosstrainer für zu Hause zugelegt. Besonders hart war das letzte Wochenende: „Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich Ostern allein verbracht.“ Ihre Familie inklusive Enkelkind feierte getrennt. Die größten Opfer zu Ostern mussten wohl die Senioren, die ihre Kinder und Enkeln nicht sehen konnten, erbringen.
"Solche Bauernopfer sind fehl am Platz"
Im Zuge der geplanten Lockerungen der rigiden Ausgangsbeschränkungen, die noch bis 30. April in Kraft sind, beteuert die Regierung unablässig, man wolle den Bewegungsspielraum der Österreicher behutsam erweitern, Alte und Kranke sollen weiterhin geschützt werden. Was heißt das konkret? „Ich höre bereits Leute, die sagen: Sperrt’s die Alten weg, damit wir schneller die Geschäfte und Lokale öffnen können“, empört sich Peter Kostelka, Chef des roten Pensionistenverbands. „Solche Schuldzuweisungen und Bauernopfer sind völlig fehl am Platz.“ Korosec pflichtet ihrem Mitstreiter vom anderen politischen Lager bei: „Es kann nicht sein, dass man Menschen wieder mehr Freiheiten einräumt, aber Ältere davon ausnimmt.“ Oder wie es ein anderer Seniorenvertreter zugespitzt formuliert: „Wir lockern alles, aber nur für Leute ab Jahrgang 1955.“
Umstrittener Generationenvertrag
Als Ausweg aus der Coronakrise hat Tübingens bekannter, grüner Oberbürgermeister Boris Palmer eine pauschale Quarantäne für Alte und Kranke gefordert. „ Es wäre ein neuer Generationenvertrag, bei dem die Jüngeren arbeiten gehen und die Infektion auf sich nehmen, während die Älteren und Kranken auf soziale Kontakte verzichten.“ In höchsten Wiener Regierungskreisen hält man glücklicherweise überhaupt nichts von so provokanten Vorschlägen: „Es kann künftig nicht so sein, dass man ein Bier mit seinem Freund trinken geht, seine Eltern nicht aufsuchen kann.“ Verfassungsexperten halten eine solche Regelung ohnehin für verfassungswidrig, weil sie „nicht auf den individuellen Gesundheitszustand der Personen abzielt.“
"Corona ist keine Krankheit der Senioren, aber ..." "
„In Ischgl hat es vor allem die jungen Menschen erwischt“, erinnert Kostelka. Gleichlautend der Tenor vom Korosec: „75 Prozent der Infizierten sind unter 65.“ Intensivmediziner berichten immer wieder von besonderen schweren Krankheitsverläufen bei jüngeren Patienten berichten. Ein anderer Pensionistenvertreter differenziert allerdings: „Corona ist keine Krankheit der Senioren, aber es sterben leider die Alten.“
Länger unter Quarantäne werden wohl die Alten- und Pflegeheime sowie Spitäler bleiben. Die geplanten Lockerungen der Ausgangsbeschränkungen sind ohnehin an strenge Auflagen geknüpft, die von allen Altersgruppen, also sowohl von jüngeren als auch älteren Menschen, einzuhalten sind. Wann Korosec wieder ihren Enkel sehen wird? „Ich hoffe bald, aber natürlich werden wir beide Maske tragen und den Abstand einhalten.“