Freitag, 6. März, abends: Ein Treffen mit Freunden. Zwei Paare erzählen, sie hätten eine Reise nach Triest geplant, die einen in zwei, die anderen in drei Wochen. Und beiden haben die Reise storniert. Mein Mann und ich blicken uns an: Stornieren? Echt jetzt? Wir fahren zu Ostern nach Portugal. Bis dorthin wird sich wohl alles gelegt haben.
Samstag, 7. März: Vorher steht noch eine andere Reise am Programm. Island, Abflug heute. Am Flughafen Schwechat geht's rund, viele Leute fliege in alle Richtungen. Mehr Gesichtsmasken als sonst, aber keine Aufregung. Wir bereiten uns seit Wochen auf den Ausflug in den nordischen Winter vor. Es gibt eine Facebook-Gruppe "Reisen in Island". Dort lasen wir schon zwei Tage vorher davon, dass sich Isländer in Ischgl angesteckt hatten. Die Reaktion: Aha. Schiurlauber, wie halt in Italien auch. Der Blutdruck steigt nicht an.
Sonntag, 8. März: Ein Traumtag in der Hauptstadt Islands. Die Sonne lacht, ganz Reykjavik ist auf den Beinen. Die Halgrimskirkja zeigt sich von ihrer schönsten Seiten, im Schanigarten des Lokals neben unserer Unterkunft ist Hochbetrieb, der Schnee der Berge ringsum gleißt im hellen Licht.
Montag, 9 März: Die Blaue Lagune. Wir fahren hin, gehen aber nicht rein. Uns genügt ein Kaffee und der Blick ins türkisgrüne, heiße Becken vor malerischer Kulisse im Freien: Nicht so viele Leute wie sonst, heißt es, aber immer noch genug, vor allem viele Chinesen. Sie tummeln sich gerne im hohen Norden, für sie ist das Nordlicht fast heilig. Im traditionellen China war man überzeugt, dass die Nordlichter den Kampf zwischen den göttlichen guten und bösen Drachen im Himmel zeigen. Der Einblick, der den Menschen in den göttlichen Kampf gewährt wird, ist in China ein positives Zeichen. Man glaubt bis heute, dass Kinder, die während einer Nordlichtnacht gezeugt werden, von den Gottheiten mit einer guten Zukunft, Schönheit und Intelligenz gesegnet werden. Uns ist die Gesundheit wichtig und die Chinesen verdächtig - wir meiden das gemeinsame Bad und das Schulter-an-Schulter-Schlangestehen vor der Bier-Bar im Pool.
In Österreich demonstriert die Sozialwirtschaft. Trotz Coronavirus. Uneingeschränkter Parlamentsbetrieb in Wien. Aber die Politik hält Einschränkungen an den Unis zumindest schon für möglich.
Dienstag, 10. März: Ausflug ins Hochland, weiße Weiten, heiße Quellen, tosende Wasserfälle, und viel Einsamkeit. Am Abend das Nordlicht. Wir haben Glück. Es zeigt sich selten in diesen Nächten, die Sonnenaktivitäten, verantwortlich für die faszinierende Aurora Borealis, wie das Nordlicht eigentlich heißt, sind angeblich noch elf Jahre lang eher niedrig.
In Wien sagt Kanzler Sebastian Kurz: "Heute ist es soweit." Maßnahmen werden angekündigt, die Grenze zu Italien geschlossen, die Absage von Großveranstaltungen steht bevor. "Wir müssen unser Leben für ein paar Monate verändern", sagt Gesundheitsminister Rudi Anschober. An diesem Tag haben wir noch keine Vorstellung davon, wie sehr.
Mittwoch, 11. März: Plaudern mit unserer Gastgeberin, der Besitzerin des entzückenden knallroten Häuschens mitten in Reykjavik. Wir sprechen über Corona, natürlich. 85 Infizierte gibt es inzwischen in Island. "Kein Problem", sagt Elsa. Man kenne einander in Island, man wisse, wo man wohne, man halte Abstand zueinander. Sie selbst war Schifahren in der Schweiz, vor ein paar Wochen. "Wir haben telefoniert, das war, bevor sich der Virus verbreitet hatte. Wir verstehen: Die Lage ist im Griff.
In Österreich wird die Wirtschaft nervös, die Kirche entbindet von der Sonntagspflicht, das Finanzministerium sieht schon Spielraum für allfällige Corona-Hilfen. Die steirischen Gemeinderatswahlen finden "selbstverständlich" statt, kündigt Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer an. Gleichzeitig erreicht der Virus die Politik buchstäblich: Ein Vorarlberger Neos-Mandatar hat sich infiziert. Die Schulschließungen werden angekündigt. Erst heute wird der Schi-Betrieb in Ischgl untersagt.
Donnerstag, 12. März: Desinfektionsmittel in Island plötzlich überall. In Restaurants, an den Kassen der Andenkenläden, im Gang des Einkaufszentrums. Automatisch greift man zu. Das Händewaschen und Desinfizieren wird irgendwie zur Gewohnheit. Bedroht fühlen wir uns nicht. Obwohl: Von den grüppchenweise des Weges kommenden Asiaten mit Maske rücken wir automatisch ab. Unlogisch, klar, von denen geht vermutlich das geringste Risiko aus. Aber was ist schon logisch. Unmerklich steigt das Unwohlsein.
In der österreichischen Präsidentschaftskanzlei geht man mit gutem Beispiel voran: Es gibt kein Händeschütteln mehr. Der erste Covid-19-Todesfall in Österreich. Die Regierung nennt Zahlen, wie es weitergehen könnte mit der Zahl der Infizierten. Exponentiell. Nicht alle verstehen, was das heißt. Die Steiermark verschiebt die Wahlen. Eltern werden Sonderurlaub bekommen, Kurzarbeit kündigt sich an. Wir checken die Nachrichten auf unseren Handys im Stundentakt. "Ausgangssperren" sind für den Wiener Gesundheitsstadtrat Hacker noch "undenkbar".
Freitag, 13. März: Wir besuchen abends ein Konzert, "Jazz mit View", im obersten Stock des tollen Konzerthauses im Hafen, "Harpa". Es sind offensichtlich weniger Leute hier als sonst. Zwischen jedem Besucher bleiben zwei Stühle Abstand. Eine Deutschsprachige spricht uns an: Wie es uns geht? Wir tauschen uns aus über den Wahnsinn. Die Welle hat jetzt auch Island erfasst: Klopapier wurde heute in rauen Mengen auch in Reykjavik gekauft, erzählt uns die Frau. Schulen werden ab Montag geschlossen, Veranstaltungen abgesagt. Nichts ist mehr wie sonst.
In der Facebook-Gruppe fragen sich noch Leute, ob sie ihre Reise antreten sollen. 96 Kommentare. "Bloß nicht", sagen die meisten. Ein paar ganz wenige sehen auch heute noch Spielraum. Wir haben eingecheckt und prüfen im Minutentakt die Mails. Findet der Flug noch statt? Kein Grund zur Sorge, aber eine interessante andere Mail: Laudamotion informiert uns, dass der Flug in der Osterwoche nach Portugal gesichert ist...
In Österreich kündigt die Regierung die nächsten Maßnahmen an. Im Handel ist ab Montag Pause, außer im Lebensmittel- und Medikamentenbereich. Die Ausgangssperre ist Realität. "Verkehrsbeschränkungen" nennt man sie, um den Menschen keine Angst zu machen. Bilder vom beispiellosen Run auf die Geschäfte kursieren im Netz und lassen uns den Mund offen stehen, machen auch ein wenig besorgt.
Samstag, 14. März: Rückflug. Der Flughafen ist wenig belebt. Viele Flüge sind abgesagt, nach Großbritannien, nach Norwegen, in die USA. Ab Montag werden die Läden am Airport geschlossen sein, hören wir. Die Verkäuferin verkauft uns mit Freuden noch einen dritten Lachs. Den "Hamster-Lachs" kündigen wir unseren Söhnen per SMS an. Verbunden mit der Bitte, nachzuschauen, ob eh noch Klopapier vorrätig ist daheim. Wir wissen, dass noch Nudeln zu Hause sind. Ein paar Dosen Tomaten wären vielleicht noch gut. "Gibt's nicht mehr", hören wir aus Graz.
Der Flieger ist dann doch relativ voll. Das Husten drei Reihen hinter uns irritiert. Viele sind mit Mundschutz unterwegs. Andere, auch wir, ziehen sich verlegen den Schal über den Mund. Ja, wir wissen, dass das nicht hilft. Aber....
Auf der Zugfahrt am späten Abend sind wir allein im Wagen. In Graz steigt ein zweites Paar aus. Ansonsten gähnende Leere. Sicherheitskräfte dennoch schon am Bahnsteig. Keine Sandler in der Halle. Es ist ein anderes Graz als jenes, das wir eine Woche zuvor verlassen hatten. Kein Desinfektionsmittel übrigens in Österreich. Nicht am Flughafen, nicht auf den Bahnhöfen. Das ist anders als in Island.
Sonntag, 15. März: Der letzte Urlaubs- wird zum ersten Arbeitstag. Die Ereignisse überschlagen sich, für uns Journalisten ist Hochsaison. Die Leute brauchen Information. Gearbeitet wird von zu Hause aus. Wir können uns Online mit dem Redaktionssystem, mit dem Online-System, mit den Archiven, mit der Telefonie verbinden. Der Newsroom, gebaut für 200 Arbeitsplätze ist fast leer, berichtet der Kollege.
Der Urlaub nach Portugal ist abgesagt. Heute fragt man sich in ganz Österreich, ob überhaupt Spazierengehen noch erlaubt sein wird.
Die Kinder begrüßen wir ohne kisses und hugs. Mit Freunden wird telefoniert. Der Einkauf wird auf das nötigste beschränkt. Alle sind zu Hause, jeder arbeitet von einem anderen Computer aus.
Die vertraute Welt wurde fremd. Unser Österreich ist anders geworden zwischen Abflug und Wiederkehr. Gleichzeitig macht sich nach der Panik am vergangenen Freitag, die wir nur vom Hörensagen kennen, wieder Gelassenheit breit. "Jetzt ist es halt so." Man fügt sich. Und hofft, dass es nur ein Rückzug für kurze Zeit sein muss.
Claudia Gigler