In Hongkong ist es ungeachtet der Warnungen der chinesischen Regierung wieder zu schweren Zusammenstößen zwischen Polizei und pro-demokratischen Demonstranten gekommen. Sicherheitskräfte setzten am Samstag Tränengas und Wasserwerfer ein, um Teilnehmer einer Kundgebung vor dem Hauptquartier der Volksbefreiungsarmee und dem Sitz der China-freundlichen Hongkonger Regierung zu vertreiben.
Einige der Demonstranten warfen Benzinbomben - sogenannte Molotowcocktails - oder Steine auf die Einsatzkräfte der Polizei. Insgesamt hatten sich wieder Tausende Einwohner der Sonderwirtschaftszone trotz Regen auf die Straßen begeben, um für Demokratie und gegen den wachsenden Einfluss der Regierung in China zu demonstrieren.
Erstmals setzte die Polizei blau gefärbtes Wasser ein. Damit sollte offenkundig die Identifizierung der von den Wasserwerfern getroffenen Demonstranten erleichtert werden. Diese versuchten sich mit aufgespannten Regenschirmen vor dem Wasserstrahl und den Gasschwaden zu schützen. Einige der Protestierer brachen Steine aus dem Pflaster und bewarfen damit die Polizisten. Viele hatten sich schwarz angezogen und ihr Gesicht maskiert. "Es ist meine Pflicht, für Demokratie zu kämpfen", sagte der 22 Jahre alte Student Eric. "Vielleicht gewinnen wir, vielleicht verlieren wir. Aber wir kämpfen."
Einsatzkräfte wurden von Hochstraßen mit Molotowcocktail beworfen, als sie - gefolgt von 20 Polizeiwagen - in den Admirals-Distrikt marschierten. Demonstranten versuchten mit Laser-Pointern die Polizisten zu blenden. Im Ausgeh-Viertel Wanchai setzte die Polizei Schlagstöcke gegen die Protestierer ein. Diese hatten Straßenbarrikaden aufgebaut. Ein Reuters-Mitarbeiter konnte zwei Festnahmen beobachten. In der Straße Hennessy brannte vor einer Kirche ein großes Feuer, das von Feuerwehrleuten bekämpft wurde. Die U-Bahn stellte auf einigen Streckenabschnitten ihren Betrieb ein.
Nachdem am Freitag zeitweise Bürgerrechtsaktivisten festgenommen worden waren, stellten sich am Samstag keine konkreten Personen an die Spitze der Proteste. Unter dem Slogan "Seid wie Wasser" waren die Protestierer aufgerufen, flexibel zu sein und abwechselnd an verschiedenen Stellen der Stadt zu Kundgebungen zusammenzukommen.
Wenige Tage vor einem Treffen mit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel steht der chinesische Staatschef Xi Jinping damit vor einem ungelösten Problem und einer Herausforderung seiner Durchsetzungsfähigkeit. Zudem stehen die Feierlichkeiten anlässlich des 70. Jahrestages der Gründung der Volksrepublik China am 1. Oktober an. In Hongkong zerstörten Protestierer unter dem Jubel von Kundgebungsteilnehmern einen Banner, der auf das Ereignis hinwies.
Erst am Donnerstag waren Truppen der Volksbefreiungsarmee im Gebiet Hongkong ausgetauscht worden. Sollte sich die Lage verschärfen, hätten die in Hongkong stationierten chinesischen Soldaten "keinen Anlass, untätig zuzuschauen", schrieb die staatliche Zeitung "China Daily" am Freitag. Die Anwesenheit des Militärs sei nicht rein symbolisch zu verstehen. Die Hongkonger Polizei berichtete, eines ihrer Mitglieder sei am Freitagabend nach Dienstschluss von drei Unbekannten mit Messern angegriffen und verletzt worden. Die Meldung war die am meisten angeklickte Nachricht in der Internet-Netzwerk Waibo, eine Art chinesisches Twitter.
Seid drei Monaten protestieren Hongkonger gegen den wachsenden Einfluss der Regierung in Peking. Die ehemalige britische Kolonie hat besondere Freiheitsrechte, wie etwa Meinungsfreiheit. Diese sind aus Sicht der Demonstranten in Gefahr. Die chinesische Regierung wirft ausländischen Mächten, insbesondere Großbritannien und den USA vor, die Proteste anzustacheln.
Protestanführer am Freitag festgenommen
Am Freitagnachmittag kam es zu ersten Zusammenstößen, als Demonstranten Steine auf Polizisten warfen und sie mit Laserpointern blendeten. Bei Einbruch der Dunkelheit durchbrachen mit Steinen und Brandsätzen bewaffnete Demonstranten dann eine Absperrung vor dem Parlament. Für Samstag hatten die Organisatoren ursprünglich eine Großdemonstration angemeldet, um an den fünften Jahrestag der Regenschirm-Bewegung 2014 zu erinnern. Die Polizei hatte die Demonstration jedoch verboten. Am Freitag gingen die Behörden zudem massiv gegen Demokratie-Aktivisten vor: Die Polizei nahm die Protestanführer Joshua Wong und Agnes Chow sowie mindestens drei weitere bekannte Aktivisten und drei der Demokratiebewegung nahestehende Abgeordnete fest.
Angesichts des Drucks sagten die Organisatoren die Großdemonstration ab, kündigten aber andere Aktionen an. Viele Hongkonger setzten sich am Samstag auch mit kreativen Aktionen über das Demonstrationsverbot hinweg: Sie widmeten den Protest in nicht verbotene "religiöse Versammlungen" um, trugen Kreuze oder Ikonen und sangen "Halleluja".
China verlegt Kräfte an die Grenze
Das chinesische Militär hat nach Berichten in Staatsmedien des Landes neue paramilitärische Kräfte nach Shenzhen nahe der Grenze zu Hongkong verlegt. In Videoaufnahmen, die von Bürgern aufgenommen worden sein sollen, waren Militärwagen zu sehen, die nach diesen Angaben Samstagfrüh in der Grenzstadt einrollten. Details über Stärke und Zweck der Truppenverlegung wurden nicht genannt.
Nach Angaben der Zeitung "Gobal Times" soll es sich um "Spezialkräfte" und Personal der "Wujing" genannten paramilitärischen Polizei handeln. Diese Elitetruppe des Militärs wird in China zum Schutz der inneren Sicherheit und auch zur Bewachung von Regierungsstellen eingesetzt. Das Blatt, das zum kommunistischen Parteiorgan "Volkszeitung" gehört, stellte keinen Bezug zu den Protesten in Hongkong her. Doch dienen solche Berichte nach Einschätzung von Beobachtern auch als Warnung an die Demonstranten in der chinesischen Sonderverwaltungsregion.
So entstand die Regenschirm-Bewegung
Vor genau fünf Jahren hatte die chinesische Regierung entschieden, politische Reformen in Hongkong zu verbieten. Diese Entscheidung hatte 2014 die sogenannte Regenschirm-Bewegung ausgelöst. Bereits damals war der heute 22-jährige Wong an der Spitze der 79-tägigen Proteste gestanden.
Peking hatte der ehemaligen britischen Kronkolonie bei der Übernahme 1997 unter dem Prinzip "Ein Land, zwei Systeme" für mindestens 50 Jahre Grundrechte wie Meinungs- und Pressefreiheit zugesichert. Nach Ansicht der Demonstranten wird diese Zusicherung von Peking schrittweise ausgehöhlt, wogegen sie nun protestieren. Auslöser für die Proteste war ein Auslieferungsgesetz, das Überstellungen von Verdächtigen an Festland-China vorsah, inzwischen aber gestoppt wurde.