1. Warum muss Theresa May gehen?
Weil die konservative britische Regierungspartei ihre Chefin Theresa May zum Rücktritt gezwungen hat. Mit ihr glauben die Tories ihr Brexit-Problem nicht lösen zu können. Ob das mit einem „frischen Gesicht“ gelingt, ist aber fraglich. Die Hardliner der Parteibasis wollen May durch einen der ihren ersetzen. Die Pro-Europäer dagegen scheinen bereit, eine zum Brexit hastende Regierung zu Fall zu bringen. Die Kluft in der Partei wird mit Mays Abgang noch tiefer.
2. Wann findet der Wechsel statt?
An diesem Mittwoch. Am Dienstag wird man zunächst erfahren, wer per Briefwahl von der Partei zum neuen Parteichef gewählt worden ist. Außenminister Jeremy Hunt und sein Vorgänger im Amt, Boris Johnson, standen zur Wahl. Der Kandidat, für den sich die rund 160.000 eingeschriebenen Tory-Mitglieder entscheiden, ist neuer Parteichef und wird automatisch Premierminister. Die Ernennung zum Premier durch die Queen findet am Mittwochnachmittag statt.
3. Wer wird May folgen?
Mit größter Wahrscheinlichkeit wird das Boris Johnson sein. Dem Ex-Minister und früheren Bürgermeister Londons sagen parteiinterne Meinungsumfragen über zwei Drittel aller Stimmen voraus. Auch US-Präsident Donald Trump, der mit Johnson Kontakt hält, geht davon aus, dass sein „Freund“ Boris „es“ sein wird. Und viele der früheren Kritiker Johnsons in Westminster haben begonnen, sich bei ihm einzuschmeicheln. Für Johnson gefährlich ist nur jene kleinere Zahl prinzipieller Gegner in der Partei, die sich einem parlamentarischen Misstrauensantrag der Opposition anschließen könnten. Darunter sind mehrere Minister wie Schatzkanzler Philip Hammond, die von nächster Woche an auf den Hinterbänken sitzen werden. Wie viele potenzielle Rebellen es insgesamt sind, weiß gegenwärtig freilich niemand genau.
4. Was bedeutet der Wechsel in Downing Street für den Brexit?
Hunt und Johnson haben gleichermaßen erklärt, dass sie zum Ablauf der Brexit-Verlängerungsfrist am 31. Oktober „notfalls“ auch ohne Vereinbarung mit Brüssel aus der EU austreten würden. Beide bestehen darauf, dass der „Backstop“, die heftig umstrittene Irland-Garantie, aus dem bestehenden Austrittsvertrag gestrichen werden muss – was die EU für unmöglich hält. Johnson hat außerdem nicht ausgeschlossen, dass er das Parlament im Oktober suspendieren könnte, damit es sich nicht zu seinen Plänen querlegt. Dagegen suchen sich Abgeordnete in Westminster, darunter auch Tories, mit diversen parlamentarischen Manövern zu wehren.
5. Kommt es gar zu Neuwahlen?
Eine Johnson-Regierung stünde im Unterhaus auf wackeligen Beinen. Insofern wäre es logisch, dass der neue Premier zu vorgezogenen Neuwahlen ruft – dies vor allem, wenn er glaubt, dass er zum Start seiner Amtszeit gegen Labour-Chef Jeremy Corbyn eine Chance hätte. Bei Neuwahlen vor dem vollzogenem Austritt aus der EU besteht für die Tories jedoch die Gefahr, dass wie zuletzt bei den Europawahlen, die Stimmen vieler Unzufriedener, Nigel Farages Brexit-Partei zugute kommen. Spekuliert wird darum über Neuwahlen später im Herbst oder vielleicht im nächsten Frühjahr. Entscheidend ist natürlich, wie lange die parlamentarische Basis einer Johnson-Regierung hält.
6. Gibt es noch Chancen auf ein zweites Brexit-Referendum?
Die gibt es noch. Denn der Konflikt zwischen einer „No Deal“-Regierung und einem „Nicht ohne Deal“-Parlament ist letztlich kaum zu lösen. Gerät die britische Politik total ins Stocken, könnte sich ein neues Referendum als einzige Möglichkeit anbieten, sich aus dieser Lage zu befreien. Denkbar ist auch, dass eine immer größere Zahl moderater Tories zum Schluss kommt, dem „Brexit-Spuk“ könne nur mit einer neuen Volksabstimmung ein Ende bereitet werden. Voraussetzung wäre natürlich, dass dann auch die Labour-Opposition geschlossen hinter dieser Entscheidung steht.
Peter Nonnenmacher aus London