Angesichts der erneut entbrannten Diskussion um die Seenotrettung im Mittelmeer ist die Situation von Flüchtlingen in Griechenland in den Hintergrund gerückt. Dabei ist die Lage in den sogenannten Hotspots auf den griechischen Inseln extrem angespannt. Fast alle Registrierlager sind völlig überfüllt, in manchen reicht es nicht einmal für die Versorgung der Grundbedürfnisse.
In dem Hotspot auf der Insel Samos bekommen Geflüchtete pro Tag etwa nur 1,5 Liter Trinkwasser. "Das hat mich am meisten erschüttert", erzählt die Geschäftsführerin von Ärzte ohne Grenzen (MSF) in Österreich, Laura Leyser, die das Lager vergangene Woche besucht hatte, im Gespräch mit der APA. Außer dieser Plastikflasche, die beim Frühstück ausgehändigt wird, gebe es keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Auch die medizinische Versorgung sei "sehr schlecht". Für die rund 4.000 Menschen, die sich derzeit in und um das Lager befinden, sei nur ein Arzt verfügbar.
Völlig überfüllt
Generell sei der Hotspot auf Samos "völlig überfüllt". Er habe eine Kapazität von 650 Personen, 1.000 lebten derzeit in dem Lager, rund 3.000 Geflüchtete rundherum - in einem Gebiet, das "Dschungel" genannt wird, so Leyser. Die hygienischen Standards im und um das Lager seien "katastrophal". "Bewohner erzählten uns, dass ein Großteil der Sanitäranlagen kaputt ist, Abwasser fließt offen durch das Lager, Ratten laufen bei Tag und Nacht herum."
Auch mit dem Registrier- und Asylprozess sind die Behörden offenkundig überfordert. Nach dem Registrierungsprozess bekommen die Asylsuchenden Karten für die Erstgespräche ausgehändigt - teilweise mit einem Datum für 2022. Bis dahin dürften die Menschen die Insel nicht verlassen.
Neuer "Ort der Schande"
"Ein Kollege hat mir bestätigt: Die momentane Situation in Samos ist schlimmer als sie in Moria (auf Lesbos, Anm.) je war", fasst Leyser die Eindrücke während ihres Besuches zusammen. Das Lager auf Lesbos war im vergangenen Jahr immer wieder als "Ort der Schande" Thema in den Medien. Menschen müssten dort unter unmenschlichen Bedingungen leben, hieß es.
Ärzte ohne Grenzen ist seit 2015 immer wieder auf Samos tätig. Seit März 2019 betreibt die Hilfsorganisation eine kleine Klinik in der Nähe des Registrierlagers. Aufgrund der angespannten Situation auf der kleinen Insel wird laut Leyser derzeit ein Ausbau der Tätigkeiten seitens MSF evaluiert. "Wir können aber auch nur Nothilfe leisten, um Lücken zu füllen."
EU-weites Versagen
Auf politischer Seite ortet Leyser momentan fehlenden politischen Willen: "Wenn der politische Wille da ist, könnte es auch funktionieren. Ich sehe hier durchaus ein EU-weites Versagen." Um die griechischen Inseln zu entlasten und die Situation für die Menschen erträglich zu machen, sei die Umsiedelung von Geflüchteten "so schnell wie möglich" notwendig, besonders schutzbedürftige Personen wie Frauen mit Kindern und alleinreisende Minderjährige müssten hierbei bevorzugt werden.
Der Flüchtlingszustrom aus der Türkei nach Griechenland hat in den vergangenen Monaten deutlich zugenommen. Im Juni setzten nach offiziellen Angaben 3.122 Menschen aus der Türkei nach Griechenland über und forderten Asyl. Im gleichen Monat des Vorjahres waren 2.434 gekommen, 2017 waren es 2.012. In den Registrierlagern leben zurzeit rund 18.000 Menschen. Die Lager haben aber eine Kapazität für nur 8.900 Migranten.
Ein 2016 mit der Türkei geschlossener Pakt sieht vor, dass die EU alle Migranten, die illegal über die Türkei auf die griechischen Inseln kommen, zurückschicken kann. Im Gegenzug nehmen EU-Staaten der Türkei schutzbedürftige Flüchtlinge aus Syrien ab und finanzieren Hilfen für in der Türkei lebende Flüchtlinge.
Christina Schwaha/APA