Für Außenminister und ÖVP-Zukunftshoffnung Sebastian Kurz stellt sich die Frage der Übernahme der ÖVP-Spitze derzeit nicht. "Reinhold Mitterlehner ist der Parteiobmann. Er hat meine Unterstützung", sagte Kurz am Dienstag im ORF-Radio. Er habe auch von keinen Rücktrittsdrohungen Mitterlehners gehört.

Auf die Frage, ob er die ÖVP in ihrem derzeitigen Zustand überhaupt übernehmen wolle, meinte der Minister: "Ich glaube nicht, dass das so attraktiv ist, den Job des ÖVP-Obmanns anzustreben."

Die Tageszeitungen "Presse" und "Kurier" berichteten am Dienstag in ihren Online-Ausgaben, dass Kurz Montagabend Landesparteiobleute und Bünde-Chefs darüber informiert habe, derzeit nicht für das Amt des Parteichefs zur Verfügung zu stehen. "In diesem Zustand übernehme ich die Partei nicht", so Kurz' abendliche Telefon-Botschaft laut den Quellen der beiden Zeitungen.

Zuvor hatten Gerüchte über einen möglichen Rücktritt Mitterlehners die Runde gemacht und in der Volkspartei für heftige interne Aufregung gesorgt. In der ÖVP ortet man den Ursprung dieser Gerüchte inzwischen in einer Wiener SPÖ-Sektion mit guten Verbindungen ins Bundeskanzleramt.

In der Regierung setzten sich die diversen Querelen am Rande der Ministerratssitzung am Dienstag allerdings fort. Zunächst verteilte SPÖ-Staatssekretärin Muna Duzdar zwiespältige Zensuren an den Koalitionspartner: Der "überwiegende" Teil im ÖVP-Regierungsteam arbeite zwar konstruktiv und seriös, "andere glänzen durch Abwesenheit" und würden den "Intrigantenstadel" dirigieren, erklärte Duzdar. Gefehlt haben bei der heutigen Sitzung Außenminister Kurz und Innenminister Wolfgang Sobotka (beide ÖVP). Jene, die "nicht wollen" und kein Interesse an konstruktiver Regierungsarbeit haben, sollten sich hinstellen und dies auch klar sagen, forderte die Staatssekretärin.

Auch SPÖ-Klubchef Andreas Schieder findet, dass die Arbeitsstimmung in der Regierung zwar gut ist, es jedoch "Leute" wie Kurz gebe, die sich "in kleinem Dauerwahlkampf" befinden würden. Der Innenminister werde dabei "vorgeschickt", so Schieder. Dass auch SPÖ-Chef Kern Vorwahlkampf betreibe, stellte Schieder in Abrede, so sei etwa dessen "Plan A" ein Konzept und Social Media-Aktivitäten - Stichwort Pizza-Lieferung - kein Wahlkampf. In der ÖVP hingegen gebe es einen "internen Konflikt", dessen "Epizentrum" Kurz sein dürfte.

"Scheinheiliges Kurz-Bashing"

Kurz selbst weist die SPÖ-Kritik zurück, wonach er der Urheber des Streits in der Koalition sei. "Ich beteilige mich nicht an diesem Theater, sowohl in der Regierung als auch in der ÖVP", sagte er im Gespräch mit der APA.

Koalition: SPÖ ortet "Intrigantenstadel" in ÖVP-Team

Die SPÖ-Kritik an seinen zahlreichen Abwesenheiten im Ministerrat wies Kurz unter Verweis auf seine Arbeit als Außen- und Integrationsminister und die zahlreichen terminlichen Verpflichtungen zurück. Am Dienstag war er in Vorarlberg unterwegs. "Die ständigen Angriffe und falschen Unterstellungen werden mich in meiner Sacharbeit nicht behindern", sagte Kurz.

Umweltminister Andrä Rupprechter (ÖVP) zeigte sich empört über die SPÖ, die beim Ministerrat nur "scheinheiliges Kurz-Bashing" betrieben habe. Die SPÖ-Minister hätten ein "unerträgliches Schauspiel" und eine "skurrile Show" geliefert mit ihrer Kritik an Kurz. Der Außenminister werde, obwohl er "großartige Arbeit" leiste, jeden Tag von hochrangigen SPÖ-Politikern "verleumdet". Um die Frage, ob Kurz höhere Funktionen übernehmen sollte, gehe es jetzt nicht, meinte Rupprechter, aber selbstverständlich sehe er in ihm "die Zukunft unserer Partei".

Auch Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) verteidigte die Abwesenheit von Kurz und Sobotka. Auch er sei manchmal abwesend, wenn er beim Ecofin in Brüssel sei. Auf die Journalistenfrage, ob er zum Team Mitterlehner oder zum Team Kurz gehöre, sagte Schelling: "Ich stehe im Team Regierung." Zum Vorwurf der SPÖ, in der ÖVP gebe es konstruktive und destruktive Kräfte erklärte Schelling: "Es gibt in der SPÖ mindestens zwei, wenn nicht drei Gruppierungen."

Vizekanzler und ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner hält allerdings Sobotkas jüngste Äußerungen über Kanzler Kern für "nicht hilfreich". Es sollten viel eher die Emotionen abgebaut werden, dies gelte für beide Koalitionspartner.

Auf die Frage, ob ihm mit Sobotka schon der Geduldsfaden reiße, meinte der Parteiobmann: "Das ist eine gute Frage." Die Emotionen seien aufgeschaukelt, sowohl bei SPÖ als auch ÖVP. Umso mehr drängt er auf die Sacharbeit und den gegenseitigen Respekt. "Ich bin Parteichef", somit gehöre es auch dazu, mit "diesen Dingen konfrontiert" zu werden. Es herrsche eine aufgeschaukelte Vorwahlstimmung, die aber nicht von ihm inszeniert werde.

Sogar die beiden Regierungskoordinatoren - Kanzleramtsminister Thomas Drozda (SPÖ) und Staatssekretär Harald Mahrer (ÖVP) - kalmierten nur halbherzig. Drozda zeigte sich genervt über die Abwesenheiten von Kurz und Sobotka. Zu Sobotkas Kern-Attacke meinte er: "Die Aussagen richten sich selbst." Es gehe um sachliche Zusammenarbeit und diese habe zwischen Sobotka und Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ) gut funktioniert. Dass Sobotka nun etwa Themen wie die Bildungsreform kommentiert, sei "nicht zielführend".

Mahrer meinte, die "Außensicht", dass die SPÖ beim Koalitionspartner zwei Lager ortet, sei "jedem unbenommen". Die Fachminister würden gut arbeiten und daher stellte Mahrer fest: "Ich sehe das emotionslos." Den Vorwurf, dass ÖVP-Minister die Regierungssitzung schwänzen, ließ er allerdings nicht auf sich sitzen: "Das halte ich für extrem überzogen und ungerechtfertigt."

FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache gießt Öl ins Feuer: "Wenn Sobotka spricht, spricht in Wahrheit Kurz", sagte er am Dienstag bei einer Pressekonferenz. Sobotka diene lediglich als "Rammbock" für seinen Parteikollegen. Strache forderte Kurz auf, aus der Deckung zu gehen und sich nicht hinter dem Innenminister zu verstecken.