"Es gibt Entwicklungen in der Türkei, die uns zutiefst beunruhigen, wie etwa Einschränkungen bei der Pressefreiheit oder Missachtung von Menschen- und Minderheitsrechten oder der Umgang mit Parlamentariern", sagte von der Leyen der "Welt am Sonntag".

"Eine Partnerschaft muss aushalten, dass man Kritik aneinander übt und auch in der Lage ist, Meinungsunterschiede auszuhalten", hob die Ministerin hervor. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan
hatte am Dienstag die Reform zur Aufhebung der Immunität der türkischen Parlamentsabgeordneten in Kraft gesetzt, die die Volksvertretung Ende Mai beschlossen hatte. Die Aufhebung der Immunität ermöglicht die Strafverfolgung zahlreicher Abgeordneter, darunter dutzende Parlamentarier der Kurdenpartei HDP.

Die türkische Opposition sieht darin einen Versuch, sie mundtot zu machen, auch aus Berlin kam Kritik. Noch schwerer belastet wird das Verhältnis beider Länder durch die türkischen Reaktionen auf die Verabschiedung einer Armenien-Resolution durch den Bundestag. Erdogan warf deutschen Abgeordneten mit türkischen Wurzeln vor, ein
Sprachrohr der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) zu sein und "verdorbenes Blut" zu haben.

Von der Leyen lobte in dem Interview allerdings, dass die Türkei drei Millionen Flüchtlinge aufgenommen habe: "Dafür hat das Land unsere ehrliche Anerkennung verdient." Die CDU-Politikerin räumte ein, dass Europa in der Flüchtlingskrise Fehler gemacht habe. "Dass uns die Flüchtlingskrise so kalt erwischt und erschüttert hat, haben wir Europäer ganz allein selbst zu verantworten", sagte sie der "WamS".

Die Europäer hätten den Schengen-Raum eingeführt und die Vorteile genossen, ohne über "die unangenehmen Seiten" zu sprechen: "Wer sichert wirksam die Außengrenze? Wie gehen wir mit illegalen Flüchtlingen um? Und wie verteilen wir Menschen mit Anspruch auf Asyl innerhalb Europas?" All diese Fragen seien ungeklärt geblieben, "weil es bequem war". Nun müsse dies unter großem Druck nachgeholt werden, sagte von der Leyen.