Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) hat Griechenland in Sachen Flüchtlingsströme mit einem Ausschluss aus dem Abkommen über das passfreie Reisen in Europa gedroht und damit scharfe Kritik auf sich gezogen.
"Wenn die Regierung in Athen nicht endlich mehr für die Sicherung der Außengrenzen unternimmt, dann wird man auch über den vorübergehenden Ausschluss Griechenlands aus dem Schengenraum offen diskutieren müssen. Es ist ein Mythos, dass die griechisch-türkische Grenze nicht kontrolliert werden kann", sagte Mikl-Leitner der deutschen Zeitung "Welt am Sonntag". Die Geduld vieler Europäer neige sich dem Ende zu. "Es wurde viel geredet, jetzt muss endlich gehandelt werden. Es geht darum, die Stabilität, Ordnung und Sicherheit in Europa zu schützen." Die Innenministerin kritisierte Athen auch dafür, von anderen Schengenstaaten angebotene Hilfe zur Grenzsicherung nur "zögerlich" anzunehmen.
Ins selbe Horn hatte bereits am gestrigen Freitag der bayerische Innenminister Joachim Herrmann gestoßen: Sollte Athen seine Verpflichtungen zum effektiven Grenzschutz weiterhin nicht erfüllen, könnte man zu einem Ausschluss Griechenlands aus dem Schengenraum gezwungen sein, sagte der CSU-Politiker in Sofia nach einem Bericht des bulgarischen Staatsradios.
Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier kritisierte Mikl-Leitner. "Scheinlösungen wie der Ausschluss einzelner Staaten aus dem Schengen-Raum bringen niemanden weiter", sagte der SPD-Politiker am Samstag den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Vor allem, so Steinmeier, reduzierten sie nicht die Flüchtlingsströme, "sondern spalten Europa und laden die ganze Last bei Einzelnen ab, die dann vor ungeahnten wirtschaftlichen, sozialen und humanitären Problemen stehen würden".
Der deutsche Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) merkte im Sender SWR an: "Ich hoffe, dass alle in Europa wissen, dass das Schließen von Grenzen in Europa der nächste Schritt ist, wenn die Außengrenzen auf Dauer nicht gesichert bleiben." Dies wäre eine wirtschaftliche Katastrophe für den Kontinent.
"Wer fordert, die Seegrenzen zu schützen, weiß nicht, wovon er redet", sagte ein Offizier der griechischen Küstenwache, der täglich verzweifelte Menschen aus den eisigen Fluten der Ägäis rettet, der Deutschen Presse-Agentur. "Die Flüchtlinge werden kommen, ob die Rechtspopulisten es wollen oder nicht."
Der griechische Außenminister Nikos Kotzias hatte in einem Gespräch mit der Berliner "Tageszeitung" (Freitag) klargemacht: "Wenn wir die Flüchtlinge stoppen wollten, müssten wir Krieg gegen sie führen. Wir müssten sie bombardieren, ihre Boote versenken und die Menschen ertrinken lassen." Anders sei eine Absicherung der Seegrenze nicht möglich. "Das jedoch widerspricht sowohl der Menschlichkeit als auch dem EU-Recht und internationalen Konventionen. Es ist ausgeschlossen."
Steinmeier sagte: "Eine Lösung der Flüchtlingskrise wird es nicht dadurch geben, dass wir uns innerhalb Europas gegenseitig die Solidarität aufkündigen." Vielmehr müssten alle an einem Strang ziehen, Fluchtursachen angehen, die EU-Außengrenzen stärken und innerhalb Europas zu einer fairen Verteilung kommen. "Hierbei dürfen wir in Europa keine Zeit mehr verlieren. Sonst laufen wir Gefahr, die Reisefreiheit im Schengen-Raum zu verspielen, die Grundfesten der europäischen Einigung infrage zu stellen und uns selbst großen wirtschaftlichen Schaden zuzufügen."
Die EU-Innenminister beraten am Montag in Amsterdam über die Fortsetzung der Grenzkontrollen von einigen europäischen Ländern, darunter Österreich, in der Flüchtlingskrise. Wie eine EU-Kommissionssprecherin am Freitag in Brüssel sagte, sollen die Innenminister die weiteren Schritte diskutieren, wenn die Rechtsgrundlage für die bisherigen Kontrollen im Mai abläuft.
Mehrere EU-Staaten streben einem Zeitungsbericht zufolge eine Verlängerung der Grenzkontrollen im Schengen-Raum an. Zu den Ländern gehörten Österreich, Deutschland, Belgien, Schweden und Dänemark, wie die "Welt am Sonntag" laut Vorausbericht unter Berufung auf hochrangige EU-Diplomaten berichtete. Der deutsche Innenminister Thomas de Maizière (CDU) erklärte bereits, er wolle an den Kontrollen auf unbestimmte Zeit festhalten. Deutschland und Österreich haben Mitte September vergangenen Jahres befristete Grenzkontrollen eingeführt. Derzeit ist die Rechtsgrundlage dafür Artikel 24 des Schengen-Kodex. Diese Kontrollen können im Februar noch bis Mai verlängert werden, laufen dann aber aus.
Knapp zwei Monate sind inzwischen vergangen, seit die Europäische Union und die Türkei vereinbart haben, dass Ankara den Flüchtlingszustrom nach Griechenland unterbindet. Allerdings gingen in den ersten 20 Tagen des neuen Jahres in Griechenland erneut 35.455 Flüchtlinge und Migranten an Land. Mindestens 94 Menschen verloren in den drei Wochen bei der gefährlichen Überfahrt zu den Ostägaisinseln ihr Leben, darunter viele Kinder.
Für die griechische Regierung steht fest, dass die von der Türkei zugesagte Kontrolle der Flüchtlinge bisher nicht funktioniert. Aus Athener Regierungskreisen heißt es, die Türkei habe sogar die Visumspflicht für Bürger jener Staaten aufgehoben, aus denen Migranten kämen, die ihre Heimat aus wirtschaftlichen Gründen verließen. So kämen inzwischen zunehmend Marokkaner und Algerier an den griechischen Inseln an. In Athen wird vermutet, dass Ankara die Trumpfkarte "Kontrolle des Flüchtlingszustroms" weiterhin ausspielen will, um eigene Interessen in den Beziehungen zur EU durchzusetzen. Da die EU mit Ankara nicht vorankomme, konzentrierten sich die Schuldzuweisungen nun wieder auf Griechenland, ist man in Athen überzeugt.
Der slowenische Regierungschef Miro Cerar sprach sich unterdessen dafür aus, Mazedonien beim Grenzschutz zu unterstützen. "Wir haben nicht Zeit bis zum Frühling, um eine Lösung zu finden", warnte er. Damit wäre es nicht notwendig, die Grenzen innerhalb des Schengenraums zwischen Schweden, Dänemark, Deutschland und Österreich zu schließen. Zudem müssten so die Grenzkontrollen in einer empfindlichen Region wie dem westlichen Balkan nicht verschärft werden, "womit man ein mögliches Wiederaufflammen des Balkan-Konflikts verhindern könnte". Mazedonien gilt inzwischen als eine Art Pufferland und erhält von osteuropäischen Staaten Hilfe beim Grenzschutz.