Die Pisa-Ergebnisse kamen im Vorhinein, aus dem Zusammenhang gerissen an die Öffentlichkeit. Ich nehme an, Sie sehen Ihre "Theorie der Unbildung" bestätigt.
KONRAD LIESSMANN: Zweifelsohne. Der Pisa-Test wird immer mehr zum Medienproblem. Ich verstehe nicht, warum man sich Ergebnisse auf geheimem Wege besorgen muss, Stellungnahmen einfordert - die Hysterie ist nicht angemessen. Wie mit der Studie umgegangen wird, verliert sie den Wert, den sie unter Umständen haben könnte.
Beanstanden Sie nur den Hype oder auch Methodik wie einige Bildungswissenschaftler?
LIESSMANN: Ich bin kein Statistiker, aber von dem, was ich weiß, ist der Pisa-Test nicht über alle Zweifel erhaben. Die Fragestellungen sind ja abgeleitet von einem Test, der in Australien konstruierest worden ist, er entspricht also nicht unbedingt auch den Vorstellungen anderer Sprachgemeinschaften. Bei den Leseaufgaben wird das besonders deutlich. Zweitens ist nicht standardisiert, nach welchen Kriterien die Länder die teilnehmenden Schüler aussuchen.
Immerhin wird kein Faktenwissen abgefragt. Die Schüler müssen Texte verstehen können und nach einer Einführung mathematische Aufgaben lösen.
LIESSMANN: Im Prinzip ist das Verstehen und nicht die reine Gedächtnisleistung der richtige Ansatz. Was mich verblüfft, ist, dass dieses teure Pisa-Verfahren kommen musste, um das in Erinnerung zu rufen. Das gehört ja zur Grundausstattung jeder halbwegs vernünftigen Pädagogik. Ob der Test das überprüfen kann, wage ich aber zu bezweifeln. Abgesehen davon ist das, was die Aufregung bei Pisa ausmacht, ja die angebliche internationale Vergleichbarkeit und das halte ich für den schwächstenen Aspekt an dieser Test-Apparatur.
"Messen, was messbar ist; was nicht messbar ist, messbar machen." Dieser Satz von Galileo Galilei gilt als der Ansatz zur modernen Wissenschaft.LIESSMANN: Das ist ein Ansatz für die Naturwissenschaft. Die Frage ist, ob wir diesem Ansatz alles, auch Bildungsfragen, unterwerfen können. Ja, jede Leistungsfeststellung ist eine Messung, jede Schularbeit hat eine Note. Was mich wundert ist, dass diejenigen, die für die Abschaffung der Noten plädieren, gleichzeitig Pisa-Fans sind. Es ist auch kein Zufall, dass Deutsch, Mathematik und Naturwissenschaften getestet werden. Weichere Fähigkeiten, von denen man bisher viel Aufhebens machte - soziales Lernen, Kommunikationsfähigkeit - das spielt keine Rolle mehr. Die Gefahr bei Pisa ist, dass die Vorstellung der OECD von Bildung zur normativen Vorgabe wird. Die einzige Bildungsidee, die wir noch haben, ist der Wettbewerb.
INTERVIEW: WEISSENBERGER