Das Erstaunen war groß, die Reaktionszeit der anderen Parteien dennoch gering. Völlig überraschend überholt sich die ÖVP selbst mit rasendem Tempo und kündigt die Einführung eines einkommensabhängigen Karenzgeldes an. Wie in Schweden sollen künftig auch in Österreich Mütter und Väter, die in Karenz gehen, zwölf bzw. 14 Monate lang 80 Prozent des Letzteinkommens erhalten. Der Minimumbetrag für alle soll tausend, der Maximalbetrag 2000 Euro ausmachen. Wie beim deutschen Elterngeld sollen zu den zwölf Monaten zwei Monate zusätzlich bezahlt werden, wenn der zweite Elternteil mindestens zwei Monate in Karenz geht.

Wahlzuckerl. Blitzschnell reagierten Grüne, SPÖ und Liberale auf den Vorstoß von VP-Parteichef und Finanzminister Wilhelm Molterer. Die Grünen wollen in der letzten Plenarsitzung einen Initiativantrag zur Umsetzung des einkommensabhängigen Karenzgeldes einbringen. Man möchte sich vergewissern, dass es sich um kein "Wahlzuckerl" handle, erklärte Grünen-Vizechefin Eva Glawischnig. Ein ähnlicher Antrag der Grünen ist immerhin im vergangenen Jahr von SPÖ und ÖVP abgelehnt worden. Die Grünen sehen im einkommensabhängigen Karenzgeld vor allem einen Hebel, um die Karenz für Väter attraktiver zu machen. Vorbilder sind Länder wie Schweden, Dänemark oder Island mit hoher Väterbeteiligung.

Sanfter Zwang. Der sanfte Zwang, ein erhöhtes Karenzgeld 14 Monate nur dann zu zahlen, wenn auch der zweite Elternteil in Karenz geht, hat allerdings nicht nur Befürworter. Die Entscheidung von Eltern, wie die Betreuung aufgeteilt wird, dürfe nicht vom Staat beeinflusst werden, betonen Kritiker. Der sanfte Zwang auf Väter existiert allerdings auch bereits beim Kinderbetreuungsgeld, das bei Nutzung durch beide Eltern ebenfalls länger ausbezahlt wird.

Urheberstreit. Ebenso wie die Grünen springen auch SP-Chef Werner Faymann und SP-Bundesgeschäftsführerin Doris Bures auf den neuen familienpolitischen Zug der ÖVP auf. Man zeigt sich "erfreut über die Neupositionierung der ÖVP" und verweist postwendend darauf, dass ein einkommensabhängiges Karenzgeld "eine der bekanntesten Forderungen der SPÖ" ist.

Beschluss fraglich. Ob allerdings dieser neue familienpolitische Meilenstein noch vor der Wahl beschlossen wird, ist fraglich. Die ÖVP betonte gestern vorsorglich, dass sie dieses Modell erst für die kommende Legislaturperiode plane. Ebenso offen sind Kosten und Bedeckung. Finanzminister Molterer schätzt die Mehrkosten zu den bestehenden Kosten des Kinderbetreuungsgeldes auf 15 bis 30 Millionen. Das Kinderbetreuungsgeld von 624 bzw. 436 Euro soll erhalten bleiben, das 800-Euro-Modell bei 15-monatiger Karenz soll fallen.

Attacke. Die Grünen werden zwar einen Antrag für ihre langjährige Forderung nach einem einkommensabhängigen Karenzgeld einbringen, attackieren aber gleichzeitig Faymann und Molterer. "Faymann und Molterer sollen, wenn sie schon das Blaue vom Himmel versprechen, offenlegen, wie sie ihre Wahlzuckerln finanzieren wollen", ätzt Grünen-Chef Alexander Van der Bellen. Unbestritten für die Grünen ist allerdings, dass das "ÖVP-Modell absolut in die richtige Richtung geht". Rosen streut auch Liberalen-Chefin Heide Schmidt, die in dem Vorstoß einen "Lichtblick in der sonst nicht gerade emanzipatorischen Familienpolitik der ÖVP sieht". Mit Ablehnung und Kritik reagieren FPÖ und BZÖ. Das BZÖ spricht von einem "unausgereiften Husch-Pfusch-Modell".