Arabische Staaten ziehen ihre Botschafter aus Damaskus ab, die Arabische Liga kritisiert Syrien scharf, die Türkei schickt ihren Außenminister Ahmet Davutoglu, um Staatschef Bashar al-Assad eine "letzte Warnung" zu überbringen und Davutoglus Chef, Premier Recep Tayyip Erdogan, legt nach: "Wir geben Herrn Assad noch eine allerletzte Frist von zehn bis 15 Tagen, die Gewalt gegen die Bevölkerung einzustellen und Reformen zuzulassen!"
Doch das Regime in Damaskus lässt sich von all dem nicht beeindrucken. Zwar hat Assad seine Truppen aus der Stadt Hama wieder abgezogen - wohl, weil dort nach den unvorstellbaren Gräueltaten seiner Soldateska jetzt Friedhofsruhe herrscht. Doch ist die Arme am Donnerstag mit Panzern in die Stadt Saraqib im Nordwesten Syriens eingedrungen und metzelt dort Menschen nieder. In Saraqib hatte es zuletzt täglich Demonstrationen gegeben. Die Soldaten würden wahllos um sich schießen und Häuser stürmen, so Augenzeugen. Nach Angaben von Menschenrechtsaktivisten sollen mindestens 100 Menschen, darunter über 30 Kinder, verhaftet worden sein.
Dass die Niederschlagung des "Arabischen Frühlings" in Syrien in immer mehr Nachbarländern für große Aufregung sorgt, liegt nicht nur an der Brutalität, mit der dies geschieht. Mit Sorge sehen Araber und Türken, dass die Unruhen in Syrien die Regierung Assad ausgerechnet mit jenem Land zusammenschweißt, dessen Einfluss in der Region mehr und mehr Angst macht: der Iran.
Assad ist international zum Buhmann geworden, doch Teheran unterstützt ihn. Der iranische Präsident Mahmoud Ahmadinejad ist ganz auf einer Linie mit Bashar al-Assad, wenn es etwa um die Beurteilung der Krawalle in England geht: Der Westen solle sich doch nicht so über die Niederschlagung der Revolte in Syrien aufregen. In London gehe die Polizei ja auch auf die eigene Bevölkerung los.
Iran hat eigene Interessen
Bei den Unruhen und Aufständen in der arabischen Welt stand der Iran stets hinter den Demonstranten. Die Stimme des Volkes, in der "das islamische Erwachen widerhallt", solle erhört werden, so die iranischen Führer. Im Falle Syriens jedoch hört das demokratische Verständnis auf. Da geht es den Mullahs um die eigenen Interessen. "Syrien ist ein souveränes Land, und wir sind sicher, dass die Regierung mit seinen internen Angelegenheiten alleine fertig wird", heißt es jetzt Teheran. Teheran
Der alte Konflikt zwischen der sunnitischen Führungsmacht Saudi-Arabien und dem schiitischen Iran lebt wieder auf und die Iraner sind aus Sicht von Türken und Arabern die klaren Gewinner des Umbruchs im Irak. Ein westeuropäischer Diplomat berichtete kürzlich nach Gesprächen in Riad, der regionale Vormarsch der Iraner sei ein wichtiger Grund dafür gewesen, dass die Saudis im Frühjahr ihre Truppen nach Bahrain schickten. Sie befürchteten, Bahrain könne zum Brückenkopf Teherans auf der arabischen Halbinsel werden.
Die Türkei versuchte in den vergangenen Jahren, Syrien mit einer intensivierten Partnerschaft von einer allzu engen Anlehnung an Teheran abzuhalten. Gleichzeitig öffnete sich der Westen für das Regime in Damaskus. Bashar al-Assad war plötzlich wieder salonfähig. Doch damit ist es nach dem brutalen Vorgehen gegen die Protestbewegung nun wohl für längere Zeit vorbei. Deshalb versuchen Araber und Türken, durch Druck auf Assad politische Reformen zu erzwingen. Ein dauerhafter Paria-Status für Damaskus oder eine weitere Radikalisierung des Assad-Regimes würde Syrien wohl erst recht dem iranischen Einfluss preisgeben.
Angst vor Massenflucht
Für die Türkei als unmittelbarer Nachbar der Unruheregion im nördlichen Syrien geht es außerdem darum, eine Massenflucht von Syrern über die fast 900 Kilometer lange Grenze zu verhindern. Schon jetzt sitzen Tausende Flüchtlinge in türkischen Lagern.
Aber auch für den Iran steht in diesen Wochen einiges auf dem Spiel: Sollten demokratische Reformen in Syrien die Vertreter der sunnitischen Mehrheit an die Macht bringen, wäre Syrien plötzlich kein verlässlicher Partner mehr für den Iran.
Die von Erdogan vollmundig angedrohte "letzte Frist" für Assad hat die Lage für alle Beteiligten nicht gerade vereinfacht. Da ja niemand eine Militärintervention gegen Syrien will, bleiben nur politische, diplomatische und wirtschaftliche Druckmittel. Doch gerade Letztere sind wenig wirkungsvoll. Syrien importiert - mangels Geld - nur wenig. Selbst der einst schwunghafte Handel mit russischen Waffen ist eingebrochen, weil die Russen das Assad-Regime nur noch gegen Bares beliefern.
Wirklich treffen könnte die Türken Syrien nur, wenn sie ihre Stromlieferungen dorthin einstellen würden. Auch könnten sie den Syrern mithilfe ihrer Staudämme am Euphrat buchstäblich das Wasser abdrehen.
Aber unter diesen Maßnahmen würde wohl die Zivilbevölkerung leiden. Die Führungsclique und auch die Armee wären davon wohl nicht besonders betroffen.
ERNST HEINRICH