Ein Politiker-Boykott der Olympischen Winterspiele in Sotschi würde nach Ansicht des Sporthistorikers Matthias Marschik von der Universität Wien eine große öffentliche Resonanz haben. "Wenn ich auf fremdem Terrain Aktivitäten setze, dann bewirkt das zehnmal so viel, als wenn ich in einem politischen Statement sage, was der Herr Putin macht, gefällt mir nicht", erklärte Marschik im APA-Gespräch.
"Boykotts haben immer etwas gebracht"
"Die Frage ist, was will ich?", formulierte der mehrfache Buchautor zu historischen Themen mit Sport- und Politik-Bezügen rund drei Wochen vor der Eröffnung der Spiele. Wolle die österreichische Politik dem russischen Präsidenten Wladimir Putin nur zu Kenntnis bringen, dass sie mit gewissen Entwicklungen in Russland nicht einverstanden ist, müsse sie dazu nicht die Sportschiene bemühen. "Will ich es in die Öffentlichkeit bringen? Das ist die entscheidende Frage. Will ich den Österreicherinnen und Österreichern oder auch der EU, ganz Europa oder der Welt zeigen, dass Österreich da Vorbehalte hat? Das würde eine große Breitenwirkung haben."
Vor allem dann, wenn es der Politik gelänge, "die Dinge zu verknüpfen", so Marschik. "In etwa: ich fahre dort nicht hin, weil es Menschenrechtsverletzungen gibt, die sich im Sport niederschlagen. Das hätte politisch Sinn", zeigte sich der Geschichtsforscher überzeugt. "Boykotts haben immer etwas gebracht. Und sie würden jetzt noch mehr bewirken, weil sich die Politik immer mehr in Richtung einer symbolischen Politik entwickelt."
Zumal folgender Punkt zu bedenken sei: "Wir wissen, dass Politiker nicht als authentisch eingeschätzt werden, Sportler hingegen als sehr authentisch. Wenn sich Politikerinnen und Politiker einmal auf das Gebiet des Sport vorwagen, dann kriegen sie auf jeden Fall einmal so etwas wie Authentizität. Und das wirkt in der Öffentlichkeit mehr als jedes politisches Statement."
Österreich wird in Sotschi durch Bundeskanzler Werner Faymann sowie Verteidigungs- und Sportminister Gerald Klug (beide SPÖ) vertreten sein. Auch FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache will bei Olympia dabei sein. Einige internationale Spitzenpolitiker wie Deutschlands Bundespräsident Joachim Gauck und Frankreichs Staatschef Francois Hollande verzichten hingegen auf einen Besuch der Winterspiele im Februar in Russland, das wegen Menschenrechtsverletzungen und insbesondere wegen seines Umgangs mit Homosexuellen in der Kritik steht.
Österreicher eher für Boykott
Laut einer im Nachrichtenmagazin "profil" Anfang Jänner veröffentlichten Umfrage sprach sich die Mehrheit der Österreicher dagegen aus, dass heimische Politiker die Olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi besuchen sollen. Demnach waren 59 Prozent der Befragten für einen Boykott durch die Volksvertreter, nur 32 Prozent befürworteten die Reise der Repräsentanten nach Russland.
Spektakuläre Olympia-Boykotts gab es vor allem während des Kalten Kriegs. Die negativen Höhepunkte erreichte man mit den Sommerspielen 1980 in Moskau und 1984 in Los Angeles. Unter dem Druck der USA boykottierten die meisten westlichen Staaten die Spiele in der Sowjetunion. Aus Protest gegen den Einmarsch sowjetischer Truppen in Afghanistan Ende 1979 durften ihre Sportler nicht teilnehmen.
Die Retourkutsche kam vier Jahre später. Die UdSSR und der Großteil der Ostblock-Staaten blieben den Spielen in Los Angeles fern. Offizieller Grund: Mangelnde Sicherheit. Bereits 1976 hatten afrikanische Athleten ihre Teilnahme an den Sommerspielen in Montreal (Kanada) abgesagt. Sie protestierten gegen die Teilnahme Neuseelands, dessen Rugby-Team knapp zuvor gegen das international wegen seiner Apartheid-Politik geächtete Südafrika angetreten war.
Hakoah-Schwimmerinnen gesperrt
Keinen großflächigen Boykott gab es 1936 bei den Olympischen Spielen in Nazi-Deutschland (Garmisch-Parteinkirchen im Winter und Berlin im Sommer). Zwar machten die USA bereits 1935 im Internationalen Olympischen Komitee (IOC) dafür Stimmung. Letztlich gab es aber keine Mehrheit.
Doch gab es 1936 eine österreichische Facette, erinnerte Marschik in dem APA-Gespräch: Mehrere jüdische Sportlerinnen und Sportler boykottierten die Sommerspiele in der deutschen Reichshauptstadt. Sie kamen aus dem Leichtathletik-Lager und vor allem aus der Schwimmsektion des jüdischen Sportclubs Hakoah. "Die Hakoah-Schwimmerinnen wurden dafür im Ständestaat lebenslänglich gesperrt und ihre Rekorde aus allen Listen gestrichen. Wir haben bis in die 1990er Jahre kämpfen müssen, dass diese Rekorde wieder in die Verzeichnisse aufgenommen wurden."
Edgar Schütz/APA