Am Freitagnachmittag findet in Brüssel eine bemerkenswerte Premiere statt: Nach der aktuellen Verhandlungsrunde zum geplanten Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA werden erstmals die Delegationsleiter öffentlich über den Stand der Dinge informieren. Damit zeigt offenbar der wachsende mediale Druck Wirkung. Denn die bisherigen fünf Verhandlungsrunden fanden hinter verschlossenen Türen statt. Daran entzündete sich viel Kritik - während die Öffentlichkeit ausgesperrt war, gab es laufend enge Kontakte mit Wirtschaftslobbyisten.
Doch die Chefverhandler Ignacio Garcia Bercero (EU) und Dan Mullaney (USA) werden inhaltlich wohl nicht viel Konkretes mitteilen. Denn die Dinge sind noch im Fluss, die Vorstellungen liegen in wichtigen Punkten weit auseinander. Klar ist, dass das Abkommen mit dem sperrigen Kürzel TTIP ("Transatlantic Trade and Investment Partnership") die größte gemeinsame Freihandelszone der Welt etablieren soll. Mittlere, auf Export orientierte Firmen sowie Großkonzerne erhoffen sich nicht nur die Abschaffung von Zollschranken, sondern auch das Ende "nicht-tarifärer" Handelshemmnisse. Konkreter gesagt: Durch Vereinheitlichung von Produktions- und Zulassungsstandards soll der wechselseitige Import von Gütern und Dienstleistungen erleichtert werden.
Aus Sicht der Industrie hat das fast nur Vorteile: 20.000 neue Jobs könnten allein in Österreich entstehen, rechnet die Industriellenvereinigung vor. Das ist sehr ambitioniert. Denn jene rund 200 österreichischen Betriebe, die heute schon in den USA produzieren, beschäftigen dort insgesamt etwa 31.000 Mitarbeiter. Weitere 400 Firmen haben Vertriebsniederlassungen und Repräsentanzen in den USA. Diese sind das drittwichtigste Exportland für Österreich.
Den erhofften Vorteilen stehen freilich beträchtliche Gefahren und Befürchtungen gegenüber, die bisher nicht glaubwürdig ausgeräumt wurden. Ganz oben steht die Angst, die niedrigeren US-Standards bei Landwirtschaft, Lebensmittelproduktion und Gentechnik könnten nach Europa überschwappen. Der kontinentale Markt wäre dann der US-Agrarindustrie schutzlos ausgeliefert.
"Keine Chlorhühner"
Zwar hat EU-Handelskommissar Karel De Gucht erst am Dienstag das Gegenteil versichert: Hormonfleisch und Chlorhühner aus den USA werde es bei uns auch in Zukunft nicht geben, sagte er. Die Bedenken bleiben trotzdem. Denn das Zauberwort, das die USA im Text verankert haben wollen, lautet "gegenseitige Anerkennung". Und die USA haben mehrfach deutlich gemacht, dass sie Ausnahmen nach dem Rosinenpicker-Prinzip nicht dulden wollen. Die Geduld der Amerikaner dürfte sich jedenfalls rasch erschöpfen. Erst am Mittwoch machte die US-Verhandlerin Christina Sevilla bei einer Anhörung vor heimischen Nationalratsabgeordneten Druck: Das Abkommen liege überwiegend im europäischen Interesse, weil die europäischen Firmen weit stärker exportorientiert seien als die amerikanischen.
Doch es gibt noch jede Menge Erklärungsbedarf. Einer der dubiosesten Punkte des geplanten Abkommens ist die Schaffung einer Sondergerichtsbarkeit für US-Investoren in Europa. Diese sollen mit Milliardenklagen gegen Staaten vorgehen können, wenn ihre Gewinne durch eine geänderte Gesetzgebung geschmälert werden.
Wenn also ein Staat schärfere Umweltgesetze einführt, hätte er sofort gefinkelte US-Konzernanwälte am Hals. Die Drohung allein würde wohl reichen, Gesetze stets "konzernfreundlich" zu formulieren, lautet eine Befürchtung. Noch dazu sollen solche Klagen nicht vor staatlichen Gerichten mit kontrollierender Öffentlichkeit verhandelt werden, sondern klammheimlich vor privaten Schiedsgerichten ohne lästige Medienteilnahme. Das sei eine "Privatisierung des Rechts zugunsten großer Konzerne", wetter der grüne EU-Parlamentarier Michel Reimon.
Die Wirtschaftsvertreter werden in den nächsten Monaten alle Hände voll zu tun haben, um klarzumachen, was eigentlich die einfachen Bürger von dem Abkommen haben. Demokratiepolitisch steht ein Kräftemessen an, da unklar ist, ob nur das EU-Parlament oder auch alle nationalen Parlamente am Ende über das Abkommen befinden dürfen. Die Forderung nach Volksabstimmungen steht im Raum, auch Populisten haben das Thema entdeckt. Für Ärger sorgt auch, dass erst am Ende die Parlamentarier gefragt werden - es geht dann womöglich um ein "Alles-oder-Nichts"-Votum mit Einschüchterungs- und Drohpotenzial.
Eine Million Gegner
So weit wollen es viele europäische Nichtregierungsorganisationen erst gar nicht kommen lassen. 148 solche kritischen Plattformen haben diese Woche eine gesamteuropäische Bürgerinitiative gegen TTIP und gegen das EU-Kanada-Abkommen namens CETA gestartet. Mit einer Million Unterschriften will man die "konsumentenfeindlichen" Abkommen zu Fall bringen.