Ist Strom Thurmond Schuld an dem ganzen Chaos? Der im Jahr 2003 verstorbene republikanische Senator aus South Carolina wollte 1969 die Zeichen der Zeit nicht erkennen. Damals öffnete sich in der US-Geschichte ein historisches Zeitfenster, das seither fest verschlossen ist. 338 Abgeordnete des Repräsentantenhauses hatten sich für eine Verfassungsänderung ausgesprochen, die das Wahlmännerprinzip in den USA abschaffen und durch ein klassisches Mehrheitswahlrecht ersetzen sollte. Nur 70 Abgeordnete wollten das „Electoral College“ beibehalten. Sogar Präsident Richard Nixon, der im Jahr zuvor noch denkbar knapp eine Präsidentenwahl mit 43,4 Prozent der abgegebenen Stimmen gewonnen hatte, unterstützte den Vorschlag, sich vom 1789 etablierten Wahlsystem, zu verabschieden - ebenso (laut Gallup-Umfrage) 80 Prozent der US-Bevölkerung.

Strom Thurmond bei seiner 24-Stunden-Rede im Senat, um ein Gesetz für mehr Gleichheit zwischen Schwarzen und Weißen zu verhindern. Nach seinem Tod kam heraus, dass er in seiner Jugend mit einer 16-jährigen schwarzen Haushälterin seiner Eltern ein uneheliches Kind zeugte,
Strom Thurmond bei seiner 24-Stunden-Rede im Senat, um ein Gesetz für mehr Gleichheit zwischen Schwarzen und Weißen zu verhindern. Nach seinem Tod kam heraus, dass er in seiner Jugend mit einer 16-jährigen schwarzen Haushälterin seiner Eltern ein uneheliches Kind zeugte, © AP /

Nur der Senat, jene Kammer des Kongresses, in der die Bundesstaaten vertreten werden, stieg auf die Bremse. Senatoren aus den Südstaaten - angeführt von Thurmond – übernahmen dabei eine Sonderrolle. Er und seine Kollegen blockierten das Gesetz, indem sie einfach so lange redeten, bis die politischen Gegner ermüdet den Saal vor einer Abstimmung verließen - auch Filibuster genannt. Der Grund ist laut dem politischen Beobachter Jesse Wegman von der „New York Times“ so einfach wie undemokratisch. „Südstaaten wie South Carolina waren in den späten 1960er Jahren noch mehrheitlich weiß. Das Wahlmännerkollegium mit seinem “Winner-take-all“-System sorgte dafür, dass die weiße Wählerschaft die schwarze Stimme im Süden immer besiegte und ihnen kein Mitspracherecht einräumen musste“, so Wegman.

Die Gründerväter der USA hatten das im Jahr 1789 nicht vorausgesehen. Sie hatten in ihrem Verfassungsentwurf nicht einmal die Möglichkeit von Parteien im Kopf. Die ersten Nutznießer waren Bundesstaaten mit geringer Bevölkerung, denen durch das System stärkere politische Mitbestimmung zugestanden wurde.

Thurmond hatte mit seinem Protest gegen die drohende Abschaffung des Wahlmännerkollegiums Erfolg. Das Gesetz blieb bestehen und mit ihm demokratiepolitische Probleme, die bis in die Gegenwart reichen. „Es ist wie bei einem Basketballspiel, bei dem die eine Mannschaft aber für ihre Würfe mehr Punkte bekommt als die andere“, analysiert der Politikwissenschaftler Daniel Ziblatt von der Universität Harvard in seinem Buch „Tyrannei der Minderheiten“. Soll heißen: Republikaner gewinnen zwar nicht immer durch das Wahlsystem, sind jedoch strukturell bevorteilt.

Obwohl die Demokraten in sieben der letzten acht Präsidentschaftswahlen die absolute Mehrheit der US-Bevölkerung hinter sich vereinen konnten, ist die Lage in den entscheidenden Swing States anders. In Pennsylvania, Georgia, Wisconsin und Arizona kommt es auf wenige tausende Wählerinnen und Wähler an, ob sich der Staat im republikanischen Rot oder demokratischen Blau färbt. Bei einer für gewöhnlich niedrigen Wahlbeteiligung ist Mobilisierung der Schlüssel zum Erfolg. Hinzu kommt: Die Anzahl der Wahlmänner pro Bundesstaat ist nicht exakt auf die Einwohner aufgeteilt. Im traditionell republikanischen Wyoming repräsentiert jeder der drei Wahlmänner 187.000 Einwohner. Im demokratischen Massachusetts hingegen repräsentiert ein Wahlmann rund 595.000 Einwohner, in Kalifornien mehr als 677.000.

„Wenn Parteien an die Macht kommen können, wenn sie nicht die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich haben, kommt es zu keinen Erneuerungsprozessen“, hält Ziblatt fest. Donald Trump ist daher der logische Kandidat der Republikaner - nicht, weil er die Mehrheit der US-Amerikaner hinter sich hat, sondern weil er die Mehrheit der Republikaner zum Zeitpunkt X zu den Urnen bringt.

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Regierende Minderheiten gibt es aber nicht nur im Weißen Haus, sondern auch im Senat, wo jeder Bundesstaat zwei Abgeordnete stellt. Dünn besiedelte Gebiete zusammengenommen, die nicht einmal 20 Prozent der Gesamtbevölkerung in den USA beheimaten, können eine Senatsmehrheit bilden und damit auch Richter bestätigen, die von Präsidenten vorgeschlagen werden. Bundesstaaten mit zusammen elf Prozent der US-Bevölkerung können dafür sorgen, dass im Senat Gesetze blockiert werden. So beispielsweise vorübergehend geschehen im Februar 2024 als die Republikaner aus strategischen Gründen, Gesetze für mehr Grenzschutz, Ukraine-Hilfen sowie Israel-Unterstützung ablehnten.

Thurmond hatte wohl all das nicht eingepreist, als er sich gegen die von der Mehrheit gewünschte Abschaffung des Wahlmännerkollegiums stellte. Doch das Chaos nahm seinen Lauf.