In Österreich hat eine neue Zeitrechnung begonnen. Erstmals in der Geschichte der Zweiten Republik landeten die Freiheitlichen bei einer Nationalratswahl auf Platz eins. FPÖ-Chef und Spitzenkandidat Herbert Kickl schnitt sogar besser ab als der legendäre Jörg Haider, der 1999 knapp 27 Prozent erreicht hatte. In ersten Hochrechnungen kratzten die Blauen sogar an der 30-Prozent-Marke, allerdings waren darin noch keine großen Städte eingepreist. Kickl wird noch am Wahlabend den Kanzleranspruch stellen, allerdings braucht er dafür einen Koalitionspartner, der allerdings nicht in Sicht ist.
Eine schwere Schlappe fuhr die ÖVP ein. Nicht nur verlor Spitzenkandidat und Parteichef Karl Nehammer Platz eins, ein zweistelliges Minus gab es bisher noch nie auf Bundesebene. Unter dem Strich verlor die ÖVP nahezu alles, was sie unter Sebastian Kurz 2017 und 2019 gewonnen hatte. Ähnlich dramatische Einbrüche waren ebenso bei den Landtagswahlen in Niederösterreich, Tirol und Salzburg zu verzeichnen. In Vorarlberg, das im Oktober wählt, sowie in der Steiermark, die am 24. November einen neuen Landtag wählt, schrillen in den ÖVP-Landesparteien alle Alarmglocken.
Nein zu Koalition mit Kickl
In einer ersten Reaktion meinte Generalsekretär Christian Stocker, dass sich an einem Nein zu einer Koalition mit einer von Kickl angeführten FPÖ nichts geändert habe. Offen bleibt wohl bis Vorliegen des Endergebnisses, ob sich überhaupt noch eine Große Koalition ausginge. Zunächst schien sich eine solche Allianz noch „arschknapp“ auszugehen, je länger der Abend dauerte, umso unwahrscheinlicher das Szenario.
Ebenso katastrophal schnitt die SPÖ ab. Noch nie mussten sich die einst so stolzen Sozialdemokraten bei einer Nationalratswahl mit Platz drei begnügen, aber nicht nur das: Spitzenkandidat und SPÖ-Chef Andreas Babler schnitt sogar schlechter ab als seine Vorgängerin Pamela Rendi-Wagner, die 2019 auf schwache 21,2 Prozent kam. Den Sozialdemokraten dürfte in den nächsten Wochen eine Obmanndiskussion ins Haus stehen.
Pinken blieben hinter Erwartungen
Die Neos dürften ersten Hochrechnungen zufolge die Grünen überholt und das bisher beste Ergebnis ihrer noch jungen Parteiengeschichte eingefahren haben, allerdings blieben die Pinken unter Parteichefin Beate Meinl-Reisinger wohl hinter den Erwartungen zurück. Andererseits dürfen sich die Neos Hoffnungen auf eine Regierungsbeteiligung machen, sollten ÖVP und SPÖ miteinander koalieren. Die Pinken wären das Zünglein an der Waage.
Die Grünen haben fast ein Drittel ihrer Stimmen verloren. Die Chancen auf einen Wiedereinzug in die Regierung stehen schlecht, Parteichef Werner Kogler dürfte im Laufe der Legislaturperiode das Zepter an eine Nachfolgerin, einen Nachfolger weiterreichen.
Kleinparteien bleibt Einzug verwehrt
Enttäuschte Gesichter sah man gestern bei der Bierpartei wie auch bei KPÖ, beide verfehlten den Sprung ins Parlament deutlich. Als Dominik Wlazny vor dem Sommer seine Kandidatur bekanntgegeben hatte, schien ein Einzug in den Nationalrat eine ausgemachte Sache zu sein. Unter einem Prozent blieben die ehemalige Grünenchefin Madeleine Petrovic mit ihrer gleichnamigen Liste sowie die Liste Keine.