Eine Brandrede wider die „Schubladisierung“ der Gesellschaft hielt Bundespräsident Alexander Van der Bellen zum Auftakt der Bregenzer Festspiele. So wie vor einem Jahr bereits in Salzburg erteilte der Bundespräsident der Versuchung des Schwarz-Weiß-Zeichnens eine Absage. „Nicht jeder, der auf einem Rad sitzt, ist ein Ökofanatiker. Und nicht jeder, der ein Schnitzel isst, ist ein Klimasünder“, so der Bundespräsident plakativ.

„Entweder Wutbürger oder Gutmensch, Schwurbler oder Schlafschlaf“

„Die Welt, über die wir öffentlich sprechen, ist ganz einfach. Sie ist blitzschnell erklärt. Sie ist eindeutig. Etwas ist entweder schwarz oder weiß, groß oder klein, oben oder unten, gut oder böse.“ Dazwischen gebe es nichts, in dieser Welt sei man Entweder-Oder: „Entweder Klimaterrorist oder Luftverpester, entweder Wutbürger oder Gutmensch, entweder Schwurbler oder Schlafschaf, entweder Freund oder Feind. Schublade auf – hinein damit – Schublade zu.“

„Die Unsrigen hier und die Anderen dort“

Das Entweder-Oder mag zwar ein willkommenes Ordnungssystem sein,  es sei eine beliebte Methode geworden, in Gegensätzlichkeiten zu sprechen. Ein echtes, differenziertes Gespräch verlange Zeit und Mühe. „Und am Ende gibt es wieder nur die Wahrheit hier und die Lüge dort. Die Unsrigen hier und die Anderen dort.“ Viele Menschen in unserer Gesellschaft würden die Kategorisierung des Entweder-Oder übernehmen und die Schubladen mit „die Medien“, „die Eliten“ oder „das System“ übernehmen. „Wir müssen verdammt gut aufpassen, was und warum und wen wir da jeden Tag schubladisieren.“

„Was tun, wenn jemand Mustafa heißt und Tirolerisch spricht?“

Um das Phänomen der Schubladisierung zu konkretisieren. „In welche Schublade kommt zum Beispiel jemand, der eigene Biogurken erntet und ein Schweinsschnitzel dazu isst? Oder eine Person, die täglich in die Arbeit radelt und im Sommer mit dem alten VW-Bus durch Italien fährt? Wie sieht es mit jemandem aus, der Mustafa heißt und im harten Tiroler Dialekt redet? Oder jemand, der bei jedem Zeltfest vorne dabei ist, in der Kantine dann aber strikt das Veggie-Menü bestellt? Was ist mit jemandem, der überzeugt Krachlederne trägt – und genauso überzeugt gendert? Oder jemandem, dem Grenzen wichtig sind, und der sich für die örtliche Flüchtlingsfamilie einsetzt?“ Um daraus zu folgern: „Nicht jeder, der auf einem Rad sitzt, ist ein Ökofanatiker. Und nicht jeder, der ein Schnitzel isst, ist ein Klimasünder.“

„Wo ist unsere Gelassenheit geblieben?“

Der Bundespräsident richtete wie schon in der Vergangenheit immer wieder einen Appell zu mehr Gelassenheit, „Wir sind immer gut damit gefahren, wenn bei uns alles ein bisschen entspannter war. Wenn bei uns am Ende doch jeder so sein konnte, wie er ist. Widersprüche inklusive. Ich frage mich in letzter Zeit: Wo ist unsere Gelassenheit geblieben?“

„Die Spaltung ist kein Naturgesetz“

Ohne die FPÖ beim Namen zu nennen, meinte er dann: „Leider gibt es Kräfte, die unsere wunderbare, österreichische Widersprüchlichkeit nicht als Brücke zueinander nutzen, sondern als Instrument der Spaltung.“ Die Spaltung sei kein Naturgesetz. Sie passiere, weil viele mitspielen. „Spaltung ist ein Gift. Sie vergiftet, was wir tun: Schuldige suchen. Andersdenkende verachten und verspotten. Das Gegenüber abwerten. Und am Ende: Gewalt.“ In dem Kontext verwies Van der Bellen auf das Attentat auf Ex-Präsident Donald Trump. Verachtung ist kein Wahlprogramm. Und Hass keine Lösung für unsere Probleme.“

Der Bundespräsident rief schließlich zur Überwindung der Schubladisierung auf. „Lassen Sie sich nicht einteilen, kategorisieren und an den Rand drängen. Und holen auch Sie nach Möglichkeit all jene wieder heraus aus den Schubladen, in die Sie sie gesteckt haben. Es gibt mehr, das uns verbindet als das uns trennt.“