Ein Staatspräsident, der seinen Hund vor dem Amtssitz zum Äußerln ausführt und von einem einsamen Bodyguard bewacht wird. Ein Minister, der zwischen zwei Terminen völlig unbegleitet durch die Innenstadt schlendert und sich ein Eis kauft - das hat in Europa Seltenheitswert und ist fast nur noch in Österreich möglich. In Deutschland sind seit den RAF-Attentaten in den Siebziger Jahren alle Regierungsmitglieder, auch die Ministerpräsidenten, ausschließlich in gepanzerten Limousinen unterwegs. In Österreich fährt kein einziger Spitzenpolitiker, weder Bundespräsident Alexander Van der Bellen noch Bundeskanzler Karl Nehammer, in speziell geschützten Fahrzeugen herum - es sei denn, es gibt konkrete Morddrohungen. In der Hochphase der Impfpflicht-Debatte standen sogar die vier Kinder des damaligen Bundeskanzlers Alexander Schallenberg unter Polizeischutz, der damalige Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein trug eine Schützweste unter dem Anzug, wenn er das Haus verließ.
„I schlitz di‘ auf“
Österreich war auf diesem Gebiet bisher eine Insel der Seligen. Bis vor kurzem gab es beim Eingang zum Kanzleramt nicht einmal eine Sicherheitsschleuse. Nachlässigkeit? Oder Ausdruck eines besonderen gesellschaftlichen Klimas, wo die Politiker zwar niedrige Vertrauenswerte besaßen, aber nicht zum Feindbild erhoben worden sind. Spätestens seit Corona in Kombination mit dem durch die Sozialen Medien beförderten Verharren in Echokammern, wo man unter Seinesgleichen ist, sind alle Hemmschwellen gefallen. „I schlitz di‘ auf“, wurde kürzlich ein Regierungspolitiker in den unsozialen Medien bedroht. Der Staatsschutz ermittelt.
Kickl wird von eigenen Sicherheitsleuten bewacht
Die heimischen Behörden entscheiden abhängig vom Bedrohungsbild situationselastisch, wer bewacht wird. Bundespräsident Alexander Van der Bellen, Kanzler Karl Nehammer und Innenminister Gerhard Karner werden rund um die Uhr von der Cobra beschützt. Auch Justizministerin Alma Zadic und Integrationsministerin Susanne Raab genießen Polizeischutz. In der Hochphase der Balkan-Kriege war Außenminister Alois Mock stets von Bodyguards umgeben, Reinhold Lopatka stand als Staatssekretär, der auch fürs Glücksspiel verantwortlich, unter Polizeischutz. Stets von Sicherheitsleuten ist auch FPÖ-Chef Herbert Kickl umgeben, allerdings werden diese meistens von der FPÖ finanziert - das war bei Jörg Haider und Heinz Christian Strache auch schon so. In den letzten Tagen sind Sicherheitsvorkehrungen deutlich erhöht worden: Wenn Lena Schilling, Harald Vilimsky, auch Lopatka, Schieder, Brandstätter öffentlich auftreten, sind Zivilpolizisten meistens nicnt weit.
Österreich als „Hotspot“ für politische Attentate vor 1945
In der Monarchie und in der Ersten Republik war Österreich die Hochburg für für politische Anschläge. Kaiserin Sissi (1898 in Genf), Erzherzog Franz Ferdinand (1914 in Sarajevo), Ministerpräsident Stürgkh (1916 in Wien), Kanzler Engelbert Dollfuss (1934 in Wien) starben bei Attentaten. Seit 1945 gab es nur ein tödliches Attentat in der Spitzenpolitik: 1981 wurde Wiens Stadtrat Heinz Nittel auf der Fahrt zum 1. Mai-Aufmarsch von einem palästinensischen Terroristen ermordet - „die Presse“ enthüllte jüngst, dass einer der Attentäter in Österreich lebt, obwohl gegen ihn seit 1986 ein Aufenthaltsverbot existiert. Da dieser staatenlos ist, konnte er nach Verbüßen der Strafe in der Karlau nicht abgeschoben werden.
Kärntens LH Wagner überlebte schwerverletzt
1987 wurde auf den Kärntner Landeshauptmann Leopold Wagner ein Attentat verübt, der Attentäter fühlte sich bei einer Postenbesetzung übergangen. Seit 1945 sind in Europa drei Regierungschefs Attentaten zum Opfer gefallen: Luis Carrero Blanco 1973 in Madrid, Olof Palme (1986) und der serbische Premier Zoran Dindic. Tödlich verletzt wurden auch die schwedische Außenministerin Anna Lindh (2003), schwer verletzt überlebten Oskar Lafontaine und Wolfgang Schäuble.