Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz hat sich nach seinem Gespräch mit US-Präsident Joe Biden zuversichtlich gezeigt, dass die US-Militärhilfe für die Ukraine aufrechterhalten werden kann. Wenn es nicht gelinge, eine entsprechende Entscheidung im US-Kongress zustande zu bringen, sei die Fähigkeit der ukrainischen Streitkräfte bedroht, das eigene Land gegen die russische Aggression zu verteidigen, warnte Scholz am Freitag nach dem Gespräch im Oval Office des Weißen Hauses.
Das Treffen dauerte etwa eine Stunde und 45 Minuten. Danach sagte Scholz: Er und sein Gesprächspartner seien „ganz fest davon überzeugt, dass das jetzt geschehen muss, aber auch zuversichtlich, dass der amerikanische Kongress am Ende eine solche Entscheidung treffen wird.“ Das wäre dann auch die richtige Botschaft an den russischen Präsidenten Wladimir Putin, dass seine Hoffnung auf ein Nachlassen der westlichen Militärhilfe für die Ukraine vergeblich sei. „Ohne die Hilfe der USA hat die Ukraine keine Chance, sich zu verteidigen“, mahnte der deutsche Regierungschef.
USA wichtigster Waffenlieferant
Die USA und Deutschland sind die mit Abstand wichtigsten Waffenlieferanten der Ukraine. Scholz beziffert den Wert der von Deutschland gelieferten und zugesagten Rüstungsgüter auf mehr als 30 Milliarden US-Dollar (28,3 Mrd. Euro). Die USA geben den Umfang ihrer Militärhilfe mit 44 Mrd. Dollar (rund 41 Milliarden Euro) an.
Sowohl Scholz als auch Biden haben gerade auf unterschiedliche Weise damit zu kämpfen, die Hilfe aufrechtzuerhalten. Der Kanzler hat zu Jahresanfang eine Initiative gestartet, um die EU-Partner - vor allem wirtschaftsstarke wie Frankreich, Spanien und Italien - zu mehr Unterstützung für die ukrainischen Streitkräfte zu bewegen. Der Erfolg ist bisher mäßig.
Republikaner blockieren Hilfe
Biden wiederum versucht seit Monaten, neue Milliardenhilfen für Kiew durch den Kongress zu bringen. Die Republikaner von Ex-Präsident Donald Trump blockieren das, haben zuletzt aber zumindest im Senat etwas Bereitschaft signalisiert, sich zu bewegen.
Biden und Scholz forderten den US-Kongress mit zum Teil drastischen Worten auf, die milliardenschweren amerikanische Militärhilfen für die Ukraine freizugeben. Es sei empörend, dass der Kongress dies immer noch verweigere, sagte Biden am Freitag in Washington. „Das Versäumnis des Kongresses der Vereinigten Staaten, die Ukraine nicht zu unterstützen, kommt einer kriminellen Nachlässigkeit gleich“, kritisierte der Präsident.
„Für die Frage, ob die Ukraine in der Lage sein wird, das eigene Land zu verteidigen, ist die Unterstützung aus den Vereinigten Staaten unverzichtbar“, mahnte Scholz, der sich am Vorabend mit US-Senatoren getroffen hatte, forderte eine rasche Entscheidung. Es sei ein „Zeichen der Zuversicht“, dass der US-Senat jetzt den Weg für eine weitere Abstimmung frei gemacht hat, sagte er. „Ich will nicht spekulieren, wie lange es denn noch dauert und ob es noch ein paar weitere Anläufe braucht“, fügte der SPD-Politiker hinzu. „Aber es wäre schon gut, wenn das jetzt sehr bald erfolgte.“ Es gehe um eine gemeinsame transatlantische Botschaft an den russischen Präsidenten. Diesem müsse man klar machen, dass er nicht damit rechnen kann, dass die Unterstützung für die Ukraine nachlassen wird. „Deutschland und die Vereinigten Staaten müssen eine wichtige Rolle spielen, um den Frieden in der Welt zu erhalten.“ Biden dankte dem Kanzler dafür, dass Deutschland Führung bei dem Thema zeige.
Mit Blick auf sein Gespräch mit den Senatoren sagte Scholz, er habe den Eindruck, dass diejenigen, die sich um Außen- und Sicherheitspolitik im US-Kongress kümmerten, um die Bedeutung des Themas wüssten. Zu den US-Kongressabgeordneten gehörten die Demokraten Chris Coons, Chris Murphy, Jack Reed und Jeanne Shaheen sowie die Republikaner Jim Risch, Lindsay Graham, Dan Sullivan und Roger Wicker. Der Kanzler will auf der Münchner Sicherheitskonferenz kommende Woche weitere US-Politiker treffen.
Teilerfolg für Biden im Kongress
US-Präsident Biden hatte zuvor einen Teilerfolg im Kongress verbucht: So nahm der US-Senat einen Gesetzentwurf zur Beratung an, der Militärhilfen etwa für die Ukraine, Israel und Taiwan im Umfang von 88,5 Milliarden Euro (95,34 Milliarden Dollar) vorsieht. Später stimmte der Senat mit 64 zu 19 Stimmen dafür, das Abkommen zur nächsten Instanz zu bringen. Es wird erwartet, dass die Gesetzgeber den nächsten Verfahrensschritt in einer seltenen Sonntagssitzung vornehmen. Die ebenfalls nötige Zustimmung des Repräsentantenhauses als zweiter Kammer des US-Kongresses, wo die Republikaner in der Mehrheit sind, ist sehr unsicher.
Scholz verwies darauf, dass die EU und ihre Mitglieder die größten finanziellen Unterstützer der Ukraine mit 84,4 Milliarden Euro (91 Milliarden Dollar) seien. Die 28,3 Milliarden Euro der Militärhilfe Deutschlands setzen sich nach Informationen der Nachrichtenagentur Reuters wie folgt zusammen: 2022 wurden für Militärhilfe an die Ukraine 1,64 Milliarden Euro ausgegeben, 2023 4,9 Milliarden, in diesem Jahr sollen es 7,1 Milliarden Euro sein. Dazu kommen Verpflichtungsermächtigungen für die Jahre 2025 bis 2028 in Höhe von rund 2,9 Milliarden Euro sowie neue Verpflichtungsermächtigungen in Höhe von sechs Milliarden Euro. Für das an die Ukraine abgegebene Material aus Bundeswehrbeständen wird ein Wiederbeschaffungspreis von rund 5,2 Milliarden Euro angesetzt, für die Ausbildung ukrainischer Soldaten 540 Millionen Euro.
Carlson-Interview mit Putin „lächerlich“
Scholz warf dem russischen Machthaber Wladimir Putin vor, in seinem jüngsten Interview wieder Lügen verbreitet zu haben. Das Interview mit dem rechten US-Talkmaster Tucker Carlson bezeichnete er als „lächerlich“. Bereits im Vorfeld des Treffens hatte Scholz klar gegen Putin Stellung bezogen: Der Kreml-Chef setze auf ein Nachlassen der Unterstützung der westlichen Verbündeten für die Ukraine. „Wenn wir klarmachen, dass das eine Fehlkalkulation ist, dann ist das der beste Beitrag für eine friedliche Entwicklung.“ Der Krieg könne jederzeit enden, aber nicht, indem die Ukraine kapituliere, betonte er. Putin hatte Carlson gesagt, dass der Westen langsam erkennen müsse, dass der Konflikt um die Ukraine für ihn militärisch nicht zu gewinnen sei. Früher oder später werde das in einer Einigung münden. „Wenn diese Erkenntnis eingesetzt hat, müssen sie (der Westen) darüber nachdenken, was als Nächstes zu tun ist.“
Weitere Themen des Gesprächs zwischen Biden und Scholz waren der Nahost-Konflikt und der Gaza-Krieg sowie der NATO-Gipfel im Sommer in Washington. Pressekonferenz gab es keine. Von deutscher Seite wurden als Erklärung dafür Zeitgründe angegeben. Zumindest ein paar Minuten lang zu Beginn ihres Gesprächs wollten die beiden sich aber im Oval Office zusammen der Öffentlichkeit präsentieren. Am Freitagvormittag steht für Scholz ein Frühstück mit US-amerikanischen Unternehmern auf dem Programm seines Washington-Besuchs.