Ich war in Wien. Um 5. 30 Uhr in der Früh klingelt mein Telefon. Eine meiner Töchter ist dran. Sie lebt in Herzlia. „Bei uns heulen die Sirenen und Raketen schlagen ein“, sagt sie. Und ich antworte: „Ok, wir werden sicher darauf reagieren.“ Und dann öffnet man die Augen, und es dämmert einem: Das ist ein Tag, ganz anders als die Tage davor. Dieser Tag verändert die Welt.
Wir sind eine kleine, verschworene Gruppe von sechs Freunden aus der Schulzeit in Jerusalem, darunter ein ehemaliger Wissenschaftsminister. Seine Eltern haben einen Kibbuz mitbegründet, aus dem sich am 7. Oktober einer der Söhne, ein Soldat, meldete. Man wollte gemeinsam den Schabbat feiern. „Bleibt zuhause!“, schreibt er auf WhatsApp. Das ist um 6:32. Um 6:33 setzt er eine zweite Nachricht an seinen Onkel ab, der im Kibbuz lebt: „Geh‘ in den Schutzraum!“ Und dann schreibt er an seiner Freundin, wie sehr er sie liebt. Aus dem Kibbuz melden sich Angehörige, die ihn anflehen, als Minister könne er doch helfen. Am Ende des Tages erfahren sie, dass ihr Sohn unter den Toten ist.
1973, als Israel zu Jom Kippur überfallen wurde, war ich noch zu jung, um zu begreifen, was das in der Generation meiner Eltern und Lehrer auslöste. Es bricht mir das Herz, wenn ich sehe, dass meine Kinder jetzt das Gleiche durchmachen. Sie kennen viele der Ermordeten und Geiseln. Israel ist ein kleines Land. Und ich rede hier nur von mir. Diese Erfahrung machen alle Familien in Israel.
Die Flugzeuge, die Israel verlassen, sind leer, jene, die ankommen, dagegen voll. Wenn Sie Israeli sind, wissen Sie, warum. Jeder will jetzt mit der Familie sein. Und jeder, der das Alter hat, dient in den Streitkräften. Ich bin zu alt zum Kämpfen. Mein Platz ist hier in Wien, um Israel diplomatisch zu vertreten. Aber ich war gerade in Israel. Mein erstes Enkelkind wurde geboren, ein Mädchen. Ich persönlich bin glücklich. Aber das Land hat sich dramatisch verändert.
Der 7. Oktober war für mich ein Schock, ich war traurig, aber irgendwann kam der Zorn. So geht es vielen Israelis. Von der Disharmonie, die in den Wochen davor über dem Land lag, ist nichts mehr zu spüren. Am Freitagabend haben wir noch über die Demokratie gestritten, am Samstag in der Früh sind die Kampfpiloten schon in ihren Jets gesessen, allen voran jene, die mitdemonstriert hatten. Jeder meldet sich für freiwillige Dienste. Im Land gibt es mehr als 200.000 Binnenflüchtlinge. Mein Freund, der seinen Sohn verloren hat, hat seinen Bruder bei sich aufgenommen. Und meine Schwägerin, eine pensionierte Sozialarbeiterin, betreut die geflüchtete Bewohner eines Kibbuz, die in einem Hotel untergebracht wurden.
Mich überrascht nicht, dass die Hamas dieses Massaker verüben wollte. Jeder, der mit ihr zu tun hat, weiß, wie grausam diese Leute sind. Aber dass im Zuge der Attacke auch Tausende Zivilisten über die Grenze geströmt sind, um beim Gemetzel mitzumachen, um zu vergewaltigen, zu plündern und zu sengen, das bestürzt mich. Wenn der Krieg gewonnen ist, werden wir nach den Ursachen dafür suchen müssen. Jetzt ist nicht die Zeit dafür. Es war ein Irrtum, zu glauben, wenn Israel das Leben der Palästinenser verbessert, sei der erste Schritt zu einer Aussöhnung gemacht.
Die USA, die UNO, die EU, die ganze Welt hat das geglaubt. Wir haben 25.000 Bewohnern aus Gaza eine Arbeitserlaubnis erteilt. Sie verdienen in Israel zehnmal so viel Geld wie daheim. Das hat nicht funktioniert. Die Hamas hat alles Geld, das nach Gaza geflossen ist, in das Tunnelsystem gesteckt. Die Wahrheit ist, wir waren auf so eine Attacke nicht vorbereitet. Nach westlicher Logik spricht auch alles gegen einen solchen Überfall. Denn jeder weiß genau, was die Reaktion sein wird. Die Frage stellt sich für die Hisbollah. Sie sollte wissen, was mit Beirut passiert, wenn sie Israel attackiert. Aber kümmert sie Beirut? Wohin soll eine Waffenruhe führen? Dass die Hamas in Gaza bleibt und solche Massaker zur Regel werden?
Ich weiß es nicht. Wir werden das untersuchen müssen, allerdings nach dem Krieg. Das wird ein großes Thema sein, denn die israelische Öffentlichkeit verlangt nach Aufklärung. Die Welt fordert einen Waffenstillstand. Nur wohin soll das führen? Dass die Hamas in Gaza bleibt und Massaker zum regulären Teil des Spiels werden?
Hoffentlich nicht. Das Leben eines palästinensischen Babys ist genauso viel wert wie das Leben eines israelischen Babys. Die Leute sollten intelligent genug sein, um den Unterschied zu begreifen. Entscheidend ist die Intention. Es ist ein Unterschied, ob jemand ausschwärmt, um gezielt Zivilisten in Häusern ermorden, oder ob es bei der Bekämpfung von Terroristen, die sich in Spitälern versteckt halten, zu – ich hasse dieses Wort – Kollateralschäden kommt. Wenn ich die Proteste der sogenannten progressiven Studenten sehe, von Feministinnen, die darüber hinwegsehen, was orchestriert von der Hamas Frauen angetan wurde, kann ich nur den Kopf schütteln. Wir gewähren humanitären Zugang, fordern die Leute zum Weggehen auf, wir schießen nicht auf Zivilisten. Der Hamas und der palästinensischen Bevölkerung muss klar sein: Israel wird nicht innehalten, ehe nicht die 239 Geiseln frei sind. Die bedauerlichen Bilder werden uns nicht stoppen.
Nein. Beide wurden von der Hamas getötet. Das gilt auch für die Geiseln, die nicht mehr am Leben sind. Selbst wenn sie von einer israelischen Bombe getroffen worden sind, hat sie die Hamas am Gewissen. Wenn jemand eine Bank überfällt, im Schalterraum um sich zu schießen beginnt, und die Polizei im Zuge des Einsatzes eine Geisel oder einen Kollegen tötet, dann wird auch dafür der Bankräuber als Mörder vor Gericht gestellt. Es gibt keinen Unterschied zwischen menschlichen Leben. Was zählt, ist die Intention.
Ich erwarte nicht, dass jeder Israel unterstützt. Es ist nachvollziehbar, wenn Muslime bei Demonstrationen in Österreich für ihre palästinensischen Brüder Partei ergreifen. Aber wenn sie skandieren: „From the river to the sea, Palestina will be free“ – was soll dann mit den Juden in Israel passieren? Ich denke nicht, dass sie ihnen ein Ticket für einen Flug nach Wien zahlen wollen, damit sie hier leben. Es ist sehr bedauerlich, dass Studenten in Europa oder in den USA damit sympathisieren. Ich orte da ein Versagen der Universitäten, der Bildungsinstitutionen. Wie kann die WHO ignorieren, was in den Spitälern in Gaza passiert? Wie können Frauen wegschauen, wenn Frauen systematisch missbraucht werden? ich verstehe das nicht.
Schauen Sie, ich bin Diplomat, die Politiker müssen entscheiden, was zu tun ist. Ich bin lang genug Diplomat, um an ein Zusammenleben zu glauben. Ich glaube, die Koexistenz ist die einzige Lösung.
Das war viele Jahre lang unsere Position. Aber ist ein palästinensischer Staat in der jetzigen Situation möglich? Wir haben das in Gaza und mit der palästinensischen Behörde im Westjordanland in Ansätzen versucht. Nach den Erfahrungen des 7. Oktober ist es völlig undenkbar, dass es einen palästinensischen Staat mit einer eigenen Luftwaffe, einer eigenen Armee gibt. In Israel sind 200.000 Menschen auf der Flucht. Wie würden die Kibbuzniks reagieren, wenn man ihnen sagt, die Hamas bleibt in Gaza und kann auch noch eine eigene Armee aufbauen?
Ich frage Sie: Was hat das mit dem 7. Oktober zu tun? Über diese Dinge kann man debattieren. Man kann sich auch fragen, ob wir unseren damaligen Abzug aus Gaza besser mit den Palästinensern hätten koordinieren müssen. Oder warum die Palästinenserbehörde nicht besser auf Gaza geachtet hat. Wir werden über die Siedlungen reden müssen, aber nicht an diesem Punkt. Man kann sagen, dass die Siedler, auch wenn es Teil des geschichtlichen und Erbes und der Religion, nicht dort sein sollten. Aber sie sind dort. Und solange es bei den Palästinensern keine wirkliche Führung gibt, wird es schwer sein, einen Kompromiss zu finden.
Es gibt sehr viel Misstrauen in die Fähigkeit der Palästinenserbehörde, Gaza zu übernehmen und zu kontrollieren. Die UNO vermag das auch nicht. Sie hat ein Hilfswerk speziell für Palästina, und in deren Schulen hält man an dem alten Narrativ fest. Wer hat die jungen Leute in Gaza so indoktriniert? Die UNWRA und die Hamas. Meine Antwort auf Ihre Frage lautet: Ich weiß es nicht. Die Welt ist nicht perfekt, und wir werden nicht die perfekte Lösung haben. Die Hamas kann es nicht sein.
Der Premierminister hat festgehalten, dass Israel nicht diese Absicht hat. Es wäre auch völlig unrealistisch. In Gaza leben zwei Millionen Menschen. Übrigens: Man darf schon die Fragen stellen, warum kein einziges Land in der Region bereit wäre, die Palästinenser aufzunehmen. Warum eigentlich? Sie halten Reden in der UNO, schreien in den Straßen Parolen., aber niemand nimmt sie auf. Schon während des ersten Golfkriegs hieß es, Israel würde alle Araber in Judäa und Samaria rauswerfen. Von Genozid war die Rede. Dies ist natürlich nicht passiert. Innerhalb von Israel leben heute zehnmal mehr Araber als 1948.
Ich kann den Leuten nicht die Ideologie austreiben. Die Hamas darf nicht mehr Gaza regieren, und sie darf auch keine militärischen Fähigkeiten mehr besitzen. Bis wir unser Ziel erreicht haben, wird es lange dauern. Manche Analysten sagen, das wird drei Monate bis zu einem Jahr dauern. Sollten sie alle Geiseln freilassen und nicht länger Israel mit Raketen beschießen, gibt es für uns keinen Grund, in Gaza zu bleiben. Wir haben Gaza 2005 verlassen, und haben nicht die Absicht, zurückzukehren.
Ich würde jeden europäischen Spitzenpolitiker eine Frage stellen: Was würde er tun, wenn sein Land Ziel einen solchen Terrorangriff geworden wäre? Journalisten sollten sich fragen; Was geschieht, wenn Israel den Krieg beendet? Die Geiseln wären noch immer in der Gewalt der Hamas, kein einziger Kibbuznik würde in sein Haus zurückkehren. Wir müssen die Hamas stoppen. Jeder, der Israel kritisiert, soll doch sagen, wie man die Hamas stoppen. kann. Ich habe bisher noch keine überzeugende Antwort erhalten.