Ein kalter Wind weht über den größten Friedhof Mitteleuropas, der zu Allerheiligen von Wienerinnen und Wienern regelrecht gestürmt wird. Beim Tor zum jüdischen Teil des Zentralfriedhofs nimmt man Brandgeruch wahr. Ein Absperrband der Polizei erlaubt von der Ferne einen Blick in die Zeremonienhalle, durch die offene Türe erspäht man einen Rabbiner, der mit einem Brandermittler spricht. Zwischen den Bäumen auf der Längsseite versteckt ein verrußtes Fenster, aus dem in der Nacht wohl die Flammen loderten.
Thora-Schrein und heilige Bücher sind verbrannt
Noch liegt der Endbericht nicht vor, die Sicherheitsbehörden gehen von einem Anschlag aus. An zwei Stellen wurde in einem Nebentrakt Feuer gelegt, ein Thora-Schreine und einige heilige Bücher wurden ein Raub der Flammen. Die Zeremonienhalle, die vor genau 85 Jahren in der Reichspogromnacht in Schutt und Asche gelegt worden ist und 1967 wieder aufgebaut wurde, blieb unversehrt. Draußen an zwei Stellen wurden Nazi-Parolen aufgesprüht. Ob tatsächlich Rechtsextreme dahinterstecken oder ob es sich um ein Ablenkungsmanöver von militanten Palästinensern handelt, die eine falsche Fährte legen wollten, ist offen. Der Verfassungsdienst ermittelt auf Hochtouren. Zwischen den Gräbern patrouillierten in den Nachmittagsstunden schwer bewaffnete Beamte.
Politisches Österreich zeigt sich empört
Der Anschlag in der Nacht von Halloween auf Allerheiligen sorgte in Österreich für Entsetzen und Empörung. „Die Zahl der antisemitischen Vorfälle ist in den letzten Wochen signifikant gestiegen. Das muss aufhören“, forderte Bundespräsident Alexander Van der Bellen. „’Nie wieder’ ist ein konkreter Auftrag an uns alle: Jüdinnen und Juden müssen in Österreich in Sicherheit leben können.“ Bundeskanzler Karl Nehammer verurteilte den „Anschlag auf das Schärfste“. Vizekanzler Werner Kogler sprach von einem „weiteren Akt vollkommen inakzeptabler Aggression auf die Sicherheit jüdischen Lebens in Österreich.“ Die gesamte Opposition zeigte sich ebenfalls solidarisch mit der jüdischen Gemeinde. Erschüttert zeigte sich auch Wiens Bürgermeister Michael Ludwig.
Kultusgemeinde betreut 65 Friedhöfe
Allein in den letzten drei Wochen verzeichnete die Kultusgemeinde 165 antisemitsche Fälle - so viele wie sonst in einem Quartal. Vereinzelt wechselten bereits jüdische Kinder die Schulen. Gestern kam Kritik auf, dass der Friedhof nicht bewacht gewesen sein: Die Kultusgemeinde betreut in Österreich 65 Friedhöfe.