Sie bieten Nachhilfe via Videogespräch an. Kam die Coronakrise als wirtschaftlicher Beschleuniger gerade recht?
FELIX OHSWALD: Nach dem Ausbruch der Pandemie hatten wir tatsächlich von einem auf den anderen Tag vier- bis fünfmal so viele Lehrerbewerbungen wie davor. Mehr Menschen wollten „Remote“-Arbeitsmöglichkeiten, Studenten konnten als Nebenjob nicht in der Bar arbeiten, sondern suchten nach virtuellen Jobs. Auf der Nachfrageseite war das Bild aber anders. Es war für die Eltern zwar klar, dass man „online“ einmal ausprobieren wollte. Aber wegen der Schulschließungen und weniger Druck in den Schulen gab es nur noch 50 Prozent Suchvolumen zu Nachhilfe. Für uns wurde es also teurer, einen Neukunden zu bekommen.

Man hatte in den letzten Monaten das Gefühl, digitale Bildung bekam recht rasch ein völlig anderes Gewicht. Wurde Ihre Technologie akzeptierter?
Kinder verwenden eh schon die ganze Zeit das Smartphone, für die war Videotelefonieren nichts Neues. Aber besonders für die Generation der Eltern, Lehrer, Schuldirektoren veränderte sich einiges. Viele von dieser Zielgruppe haben zum ersten Mal im Leben Videotelefonie benutzt. Auch in Jobs.

Notgedrungen ...
... ja. Aber man belächelte es ja zuvor, von zu Hause aus zu arbeiten. Plötzlich wurde es normal. Und das hatte den Effekt – und das wird langfristig ein Effekt bleiben –, die positiven Seiten zu sehen. Es funktioniert, von zu Hause aus zu arbeiten. Es funktioniert, ein Meeting per Video zu absolvieren.

Sie profitieren von derlei Umwälzungen. Ihr Unternehmen ist heute 1,4 Milliarden Euro „wert“. Was bedeutet das eigentlich?
Nüchtern betrachtet heißt das, dass es Firmen gibt, die diesen Wert in unserer Firma sehen. Der Wert kommt ja zustande, indem einer von den Investoren sagt, er investiert heute auf Basis dieser Bewertung in die Firma Geld. Es zeigt uns auch, dass diese Firmen ein noch viel, viel größeres Potenzial in der Firma sehen. Bildung ist eine riesige Marktopportunität, wo wir erst ganz am Anfang stehen.

Ist so eine enorme Wertsteigerung innerhalb weniger Jahre – Sie gründeten im Jahr 2016 – überhaupt nachvollziehbar?
Man darf nicht vergessen: Es ist ein digitales Geschäftsmodell. Besonders in der digitalen Welt sind diese Wachstumskurven möglich. In der produzierenden Industrie ist das viel schwerer machbar. Für jeden zusätzlichen Umsatz muss ich dort zusätzlich etwas produzieren.

© APA/GOSTUDENT/FELIX HOHAGEN

Wodurch entsteht der Wert? Ihre Dienstleistung scheint prinzipiell recht banal und trotzdem führt Reuters GoStudent als europaweit „höchstbewertetes Unternehmen bei digitalen Bildungsangeboten“.
Es ist einerseits eine Projektion, wo kann das Unternehmen in den nächsten drei bis vier Jahren stehen. Das andere Thema ist schon, wo das Unternehmen aktuell steht. Und wo lässt es sich mit seinen Wachstums- und Umsatzzahlen im Vergleich mit anderen digitalen, schnell wachsenden Firmen einordnen.

Im Vorjahr konnten viele Risikogeldgeber nicht so stark investieren, wie sie es vorgehabt hätten. Jetzt steht manch einer unter Druck. Suchten Sie möglicherweise zur richtigen Zeit nach Geld?
Die Pandemie hat zu noch mehr Geschwindigkeit geführt. Auch bei Fonds, die investieren. Die persönliche Komponente ist weggefallen, du musst nicht mehr ins Flugzeug steigen, nicht mehr mühsam Treffen ausmachen. Digital ist das einfacher, du kannst dir schnell zehn Zoom-Meetings hintereinander in den Kalender reinklatschen. Dass jetzt so viel Geld investiert wird, hängt natürlich auch mit der Niedrigzinslage zusammen. Wenn du als Fonds 100 Millionen Euro am Konto liegen hast, wird das jedes Jahr weniger. Du musst also investieren, alles andere wäre blöd. Das sorgt für viel, viel Kapital, das im Markt da ist.

Die Stunde Nachhilfe kostet bei Ihnen zwischen 18,80 Euro und 26,90 Euro. Da sind aber noch keine Steuern oder Sozialversicherungsbeiträge dabei, außerdem geht ein Teil davon an GoStudent. Können Lehrende davon leben?
Wir sind mit unserem Service noch ganz am Anfang. Wir haben jetzt den Einzelunterricht – künftig wollen wir das erweitern, etwa Gruppenunterricht anbieten. So kann man die Verdienstmöglichkeiten für Lehrer attraktiver gestalten. Insgesamt ist es so, dass heute knapp zehn Prozent unserer Lehrer ein Vollzeit-Pensum machen.

Wie rekrutieren Sie?
Im deutschsprachigen Raum beginnen die meisten Lehrer im Alter von 20 bis 30 Jahren. Das sind meistens sehr engagierte Universitätsstudenten, die einen Nebenjob suchen. In Griechenland zum Beispiel sind die meisten unserer Lehrer richtige Schullehrer.

Wodurch unterscheidet sich die von Ihnen vermittelte Nachhilfe von konventioneller Konkurrenz?
Das beginnt bei der Lehrerselektion. Offline bin ich davon abhängig, wer im Umfeld wohnt. Online kann ich Lehrer aus dem ganzen Land abrufen. Zweitens kann ich online den Unterricht messbarer machen. Ich kann also viel besser kontrollieren, ob er in die richtige Richtung geht. Gibt’s hohe Zufriedenheit, Unzufriedenheit, Feedback, von dem ich lernen kann? So kann ich ganz eng mit Familie und Lehrer zusammenarbeiten – und das Service besser auf die Bedürfnisse des Kindes abstimmen.

Ist Österreich eigentlich ein guter Platz, um ein Unternehmen zu gründen?
Absolut.

Wo hakt’s dennoch?
Ein Beispiel: Vor drei Monaten haben wir in Indien zwei Leute rekrutiert, die an renommierten Universitäten studiert und schon einige Jahre in der Technologie-Branche gearbeitet haben. Wir haben die beiden abgeworben. Leider aber laufen Visa-Beantragungen und Aufenthaltsgenehmigungen für einen Nicht-Europäer in Österreich extrem mühsam und zäh. Das dauert fünf oder sechs Monate. In London oder Amsterdam dauert derselbe Prozess drei Wochen. Das hat in diesem Fall den Effekt, dass die beiden nicht nach Wien ziehen, sondern in unser Londoner Büro.

Sind tägliche und fixe Offline-Zeiten für Jugendliche wichtig?
Offline-Zeiten im Sinne von, dass man dem Kind sagt, das Handy wegzulegen?

Das wäre wohl eher der letzte Weg dorthin, ja.
Ehrlich gesagt, war ich nie ein Fan von Strafen und Verboten. Bei Kindern muss man mit der Neugierde arbeiten. Wenn ein Kind eine große Neugierde für Online-Spiele hat, stell ich mir eher die Frage, wie kann ich das Kind darin fördern und etwa Bildung mit Online-Games kombinieren. Lieber die Neugierde verwenden, um daraus etwas Positives zu machen als zu sagen: Du darfst das nicht machen. Dann wird es für Kinder ja nur noch interessanter.

Neugierde ist etwas, das auch Ihren Lebenslauf prägt. Sie begannen mit 14 zu studieren und hatten das Studium noch vor der Matura in der Tasche. Mit 21 gründeten Sie. Was machen Sie eigentlich, wenn Sie einmal 40 sind?
Hoffentlich noch immer GoStudent.

Das wird ausreichen?
Es macht jeden Tag Spaß, hier meine Energie reinzustecken. Bildung ist ein superspannendes Thema – bei dem Jahrzehnte nicht viel vorangegangen ist.

Ist diese Wunderkind-Erzählung belastend für Sie?
Ich hab mich im Bereich Mathematik nie als Wunderkind gesehen, weil ich Leute kennenlernen durfte, die da weitaus begabter sind, als ich es jemals sein werde. Was mir liegt, ist, dass ich meine Zeit gut einteile, die Prioritäten gut setzen und bündeln kann.

Was nehmen Sie persönlich mit aus der Krise?
Technologie bringt immer etwas Positives für Menschen. Wenn es eine Sache gibt, die in dieser Pandemie einzigartig ist, dann die, dass Wissenschaftler weltweit zusammenarbeiteten, einen Impfstoff in Rekordzeit zu entwickeln, zu testen und anzuwenden. Das zeigt, zu was wir als Menschen fähig sind, wenn man die Dringlichkeit sieht und Kräfte bündelt. Das muss man sich zu Augen führen, wenn man beim nächsten Mal über alles und jeden nörgelt.