Assistierter Suizid soll mit Jänner 2022 nicht mehr strafbar sein: Ist die Wucht dieses Spruchs des Verfassungsgerichtshofs in der Bevölkerung angekommen?
WALTRAUD KLASNIC: Ich habe alleine schon mit dem Wort assistierter Suizid ein Problem. Weil ich bin Durchschnittsbürgerin und unterstelle vielen Menschen, dass sie nicht wissen, was Suizid ist. Suizid ist Beihilfe zum Sterben. Beihilfe zum Selbstmord. Unsere Aufgabe ist es jetzt mitzuhelfen, dass Betroffene in ihrer letzten Lebensphase nicht unter Druck kommen. Dass sie nicht glauben, sie müssten jetzt annehmen sterben zu wollen, weil es zu teuer wird, weil das letzte Lebensjahr angeblich so viel kostet. Oder, weil sich vielleicht das Erbteil schmälert.
RUDOLF LIKAR: Vieles ist passiert, weil wir nicht kommunizieren. Und weil wir nicht auf Menschen eingehen. Außerdem gibt es Instrumente, wie Palliativ-Care, mit denen Menschen in den letzten Tagen und Stunden betreut werden, damit sie keine Schmerzen haben. Da geht es nicht um einen assistierten Suizid, sondern um ein menschenwürdiges Sterben.


Was kritisieren Sie?
LIKAR: Der Spruch des Verfassungsgerichtshofes bezieht sich auf die Autonomie und Sterben in Würde. Ich frage: Ist Sterben in Würde, wenn ich selber etwas einnehme, oder ist Sterben in Würde, wenn ich in eine Versorgungsstruktur eingebettet bin, in der ich gehen kann? Man muss dem Menschen trotz der Krankheit einen Sinn im Leben geben. Ich sehe das auf der Palliativstation: Wenn die Familie funktioniert, schaffen die Menschen viel mehr in der letzten Lebensphase. Wir sind ja Weltmeister im Fremdbeurteilen, wie sich andere fühlen. Wenn ich Visite auf der Palliativstation bin, sagen mir 80 Prozent, dass es ihnen – den Umständen entsprechend – gut geht. Wenn einer glücklich ist, ein Glas Bier zu trinken, das sind Dinge, die Freude bereiten können. Menschen erkennen, wenn sie in so einer Lebenssituation sind, einen anderen Sinn des Lebens.


Wo wollen Sie die Grenzen beim assistierten Suizid ziehen?
KLASNIC: Es bedarf einer Krankheit, wenn ich darüber nachdenke. In Deutschland hat man andere Gesetze, aber dort könnte ich aus Liebeskummer einen assistierten Suizid bestellen. Das kann es doch nicht sein: Weil jemand verzweifelt ist, depressiv oder ihm momentan alles nicht mehr lebenswert vorkommt – das dürfen wir nicht zulassen. Jede Mutter, jeder Vater soll nachdenken, was das bedeutet. Verzweifelte Lebenssituationen hat fast jeder einmal.

Sind wir auf dem Weg zur bezahlten Selbstmordhilfe?
KLASNIC: Wir haben andere Gesetze, aber wir sollten die Tür nicht weiter aufmachen. Wir brauchen ein vernünftiges Gesetz, das ethischen Grundsätzen standhält und trotzdem dem VfGH-Urteil entspricht.

Welche Maßnahmen können Missbrauch verhindern?
KLASNIC: Es gilt zu klären: Wer begleitet den sterben Wollenden vorher, wer spricht mit ihm, ist das ein Arzt, eine Gruppe, wie schaut die Begleitkommission aus? Das Gesetz soll mit Jänner 2021 in Kraft treten, das müssen wir jetzt klären.
LIKAR: Der Begriff sollte an eine Krank-heit, die eine begrenzte Lebenserwartung hat, gebunden sein. Das Gesetz muss ich so klar halten, dass ich mich nicht aufgrund einer Depression umbringen lassen kann. Es muss so klar sein, damit nicht durch Einzelurteile alles ausgehebelt wird. Deshalb klären wir mit anderen Institutionen wie Caritas oder Rotes Kreuz, wie unsere Vorschläge und Vorbehalte in ein Gesetz gegossen werden, damit es zu keinem Dammbruch kommt und Menschen geschützt sind. Aber, dass man auf der anderen Seite auch Menschen, die diesen Wunsch haben, Möglichkeiten anbietet, und ich sie nicht alleine lasse.
KLASNIC: Aber ich frage mich schon: Wir haben ein Coronajahr hinter uns, Ärzte, Pflegende, bis zur kleinsten Gemeinde bemühte man sich, dass Menschen überleben. Und auf der anderen Seite denken wir über assistierten Suizid nach. Da ist ein Widerspruch drin. Da ist in der Gesellschaft etwas kaputt.
LIKAR: Ja, wir tun alles, um das biologische Virus zu bekämpfen. Und dann haben wir dieses geistige Virus vom assistierten Suizid. Ich erwarte mir vom Gesetzgeber, dass er auch alles gegen dieses Virus tut, damit es zu keinen Schäden kommt.

Aber darüber schweigt man.
KLASNIC: Über eine Geburt redet man auch. Es ist gerade jetzt Zeit, über das Sterben offen zu reden. Aber vorsichtig, damit man nicht liebloser darüber redet. Man schaut nur Zahlen an – und nicht, dass dahinter Menschen stehen. Menschen, die fehlen.

Wer soll einen Menschen, der einen assistierten Suizid anspricht, begleiten?
LIKAR: Grundsätzlich wird ein Arzt des Vertrauens in der Entscheidungsphase dabei sein. Es muss kommissionell begleitet werden und es muss eine rigide Kontrolle vorher beziehungsweise nachher geben. Wie schon Kardinal König gesagt hat: Nicht durch die Hand, sondern an der Hand eines Menschen soll man sterben.
KLASNIC: Wir gehen davon aus, dass jemand, der das will, von sich selbst aus aktiv wird. Wie viele Fälle hast du gehabt, bei denen Patienten einen assistierten Suizid verlangt haben?
LIKAR: Von rund 5000 Palliativ-Patienten in den letzten zwei Jahrzehnten haben drei diesen Wunsch geäußert.

Wie geht man damit um?
LIKAR: Wenn du siehst, wie viel Liebe Sterbenskranke zurückgeben: Man muss nur die Kraft haben, auch dieses Lächeln zu empfinden und zu spüren. Dieses soziale Füreinander und Dinge füreinander zu tun, die emotionale Wertigkeit, gehört in den Vordergrund. Wenn ich aber sage, ich habe kein Geld, kein Personal, und dass man im Gesundheitsbereich nur einspart und damit einen Weg für einen assistierten Suizid so aufmacht – das darf nicht passieren.
KLASNIC: Es könnte nach dieser Coronakrise so ein Denken entstehen.
LIKAR: Die Gesellschaft hat bei Corona gesagt: Die alten Menschen dürfen nicht daran sterben. Warum haben wir Alte geschützt? Weil sie alt sind?
KLASNIC: Sie sind uns anvertraut worden, wir haben ja eine Verantwortung. Ich rede jetzt leicht, weil ich bin auch nicht mehr taufrisch, aber das ist der Stellenwert. Die Jugend hat auf vieles verzichtet, einen Schritt zurückgemacht, damit Ältere geschützt werden. Umgekehrt waren die Älteren nicht immer freundlich. Aber ein Mensch ist immer auch ein Mensch.
LIKAR: Auch daran müssen wir arbeiten. Und wenn das Gesetz in Kraft tritt, ist unsere Forderung klar: Die Zahlen der assistierten Suizide möchte ich genauso veröffentlicht haben wie die Coronazahlen.

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