Guat is’ gangen, wenig is g’schehn: Der Sturm des 68er-Jahres, der bei uns ohnehin ein laues Lüfterl war, hat sich gelegt. Zwei Jahre später wird Bruno Kreisky österreichischer Bundeskanzler und Karl Schranz 1972 von den Olympischen Spielen in Sapporo ausgeschlossen. Darob kocht die Volksseele mehr als über jeden Revoluzzer-Pflasterstein davor.
Doch zurück zur Musik: Im Jahr 1970 kehrt die „Vortragskünstlerin“ Marianne Mendt von einer Europa-Tournee nach Wien heim, wo sie von Kabarett-Legende Gerhard Bronner entdeckt wird. Die Spitzfeder schreibt für die 25-jährige Sängerin das eher liebliche Lied „Wie a Glock’n“ (die Musik stammt von Hans Salomon) und läutet damit offiziell die Geburtsstunde des „Austro-Pop“ ein.
Die Dialektwelle rollt, gesungen wird in der mitunter recht reschen Sprache der Straße. Dieses 50-Jahr-Jubiläum wird von der heimischen Musikindustrie gerade mit diversen CD-Editionen gefeiert. Aber stimmt die Zeitrechnung überhaupt?
Natürlich nicht – aber irgendwie doch. Das Wort „Austro-Pop“, mit dem auch ein neues, nationales Selbstbewusstsein der jungen Musikgeneration fernab jeder nationalistischen Ideologie symbolisiert werden sollte, stammt von der ORF-Moderatorin Evamaria Kaiser. Die Wurzeln und Verzweigungen des populären Dialektliedes reichen freilich viel weiter zurück.
Stichwort Gerhard Bronner. Dessen „G’schupfte Ferdl“, dargeboten vom genialen Helmut Qualtinger Anfang der 50er-Jahre, war ein astreiner Dialekthadern, und auch Gruppen wie die „Worried Men Skiffle Group“ schauten dem Volk aufs Maul und noch tiefer und destillierten aus den Wahrheiten der Gosse gallige Lieder von zeitloser Gültigkeit, die in folgender Feststellung gipfeln: „Der Mensch is a Sau.“
Stichwort Gosse. Wenn man bei der Geburtsstunde 1970 bleibt, wird es erst im Jahr darauf so richtig ernst: Eine Leiche liegt im Rinnsal. „Da Hofa“ war’s vom 20er Haus, hat der geifernde Mob gleich den Mörder ausgemacht. Da Hofa war’s tatsächlich – die Leich nämlich. Die bitterböse Täter-Opfer-Umkehrhymne des blutjungen Wolfgang Ambros ist ein tiefer Stich ins goldene Wiener Herz.
Das Kriegsende lag erst 26 Jahre zurück, und da wollten Frau und Herr Österreicher – noch immer geblendet vom Spiegel, den ihnen der Herr Karl vorhielt – nichts von Mitläufer- und Vernadertum hören. „Da Hofa“ polarisierte und provozierte – und wurde gerade deshalb ein Riesenhit. Viel später erst hat sich „der Wolferl“ mit dem Volk versöhnt. Zur Jagatee-Hymne „Schifoahn“ ließ sich gefahrlos schunkeln.
In den folgenden Jahrzehnten folgte ein hochkreativer Austro-Pop-Boom, der sich aus einer Reihe hochtalentierter Künstler speiste. Georg „Schurl“ Danzer ließ den Nackerten durchs Hawelka flitzen, Ludwig Hirsch meißelte rücklings dunkelgraue Lieder in die Gruft, die EAV verübte blö-blö-blödelnd einen Ba-Ba-Banküberfall, Steinbäcker, Timischl, Schiffkowitz vulgo STS wollten hamwehig nach Fürstenfeld, Hansi Hölzel vulgo Falco zog es in die Gegenrichtung – hinaus zum Welterfolg; Wilfried beschnüffelte den Zechenkas und erfand den Alpenrock, und Rainhard Fendrich war wortwitzig auf der Strada del Sole unterwegs.
Und 1989 schrieb er mit „I am from Austria“ jenes Lied, das bis heute als inoffizielle österreichische Bundeshymne gilt und nicht vorschnell als patriotischer Populärkitsch abgetan werden sollte: „I kenn die Leit, ich kenn die Rottn.“
Doch auf den Boom folgte das Buh, auf die Hymnen die Häme. Die Austro-Popper wurden aus den Formatradios verbannt. Die „alten weißen Männer“ – abgesehen von Stefanie Werger oder Maria Bill gab es kaum Frauen in diesem Genre – galten jetzt als provinzielle Nostalgie-Relikte, die nur noch auf (Kunst-)Schnee von vorgestern ihre unzeitgemäßen Bogerl zogen. Der Begriff „Austro-Pop“ wurde verunglimpft, war vergiftet, und lange Zeit ist nichts mehr gewachsen auf diesem ausgelaugten Boden. Bis es in den 2000ern plötzlich wieder zu keimen begann...
Der Begriff ist obsolet geworden, Musik lässt sich längst in keine Schubladen mehr zwängen, und auch ein Nationenpickerl braucht kein Mensch. Dennoch tragen sie die DNA des Austro-Pop in sich, schultern das Erbe aber locker: die Strizzi-Rocker Wanda, die durch die Wiener Gassen, aber auch durch Bologna torkeln. Der verschmitzte Nino aus Wien, der aus seiner Stadt wunderbare Songpoeme schnitzt, aber musikalisch auch bei den Kinks fladert. Der aus der Zeit gefallene Voodoo Jürgens, der nicht nur Tote ausgräbt, sondern auch lebenspralle Lieder, die er mitunter aus dem Rinnsal klaubt.
Von dort also, wo früher die Leich vom Hofa lag.
CD-Tipp: 50 Jahre Austropop. Gestern & heute. Universal.