So sind wir nicht, so ist Österreich einfach nicht ...“
HERWIG ZAMERNIK: Ich kenne den Satz, aber ich kann unserem Bundespräsidenten leider nicht ganz recht geben. So sind „wir“ nämlich auch, ein Teil von uns ist eben genau so. Oder vielleicht besser gesagt: Ein Teil in uns ist auch so. Warum das so ist, weiß ich nicht. Ich weiß auch nicht, warum so viele Menschen in diesem Land panische Angst vor den Fremden und dem Fremden haben.
Angst wird gerne und leicht von Populisten instrumentalisiert.
ZAMERNIK: Ja, aber es funktioniert auch in die andere politische Richtung, so fair muss man sein. Dass die Grünen so enorm dazugewonnen haben, hat auch mit Angst zu tun. Der Angst vor dem Klimakollaps. Jetzt wählen wir halt die Grünen, die werden uns retten, uns die Angst nehmen. Wobei die Sorge um das Klima berechtigt ist und die Angst vor einem Flüchtling nicht.
Sie sind als Künstler „unfassbar“. Von Indie-Rock über Schlagermusik bis zum Kärntnerlied findet sich alles in Ihrem Repertoire. Ihr letztes Album trägt den Titel „Hände weg von allem“. Ist das eine typisch österreichische Handbewegung?
ZAMERNIK: Vermutlich ist das eine typische menschliche Handbewegung. Im Grunde muss jeder für sich selbst entscheiden, wann es besser ist, sich einzumischen, und wann besser, die Finger von etwas zu lassen.
„Hände weg von allem, alles bleibt so, wie es ist.“ Liegt dieses Verharren im Status quo in der DNA des Österreichers?
ZAMERNIK: Wenn etwas der österreichischen Seele entspricht, dann jener Wesenszug, ja nichts zu verändern, selbst wenn das Gegenwärtige nicht okay ist. Denn alles, was neu ist, davor hat der gelernte Österreicher dann wieder Angst. Die österreichische Seele hat schon pathologische Züge. Vielleicht haben wir auch deshalb so einen guten Humor, um mit dieser Dunkelheit fertig zu werden.
„Der Österreicher“ hält sich gerne raus, raunzt aber umso lauter.
ZAMERNIK: Der Österreicher schlüpft gerne durch und lamentiert gerne. Am liebsten auf hohem Niveau.
Hat das österreichische Raunzen einen gewissen Charme?
ZAMERNIK: Auch eine gewisse Romantik. Wenn du in die Wind’n ums Eck gehst, wirst du dort lauter Menschen treffen, die sich durch den Tag jammern – die aber zufrieden damit sind. Man suhlt sich im eigenen Leid, geht dann aber lustig nach Hause. Durch das Jammern wird man etwas los, also ist das Raunzen auch Psychohygiene. Ich gehör ja selbst zu den Raunzern! Ich schimpf – und mach dann eine schöne, traurige Weise daraus.
Die österreichische Seele ist nicht nur biernass, sie ist ja auch musikdurchtränkt. Vom Neujahrskonzert über die Heurigen-Schrammeln bis zum Austropop. Ist Musik Identitätszement?
ZAMERNIK: Auf jeden Fall! Aber ich lebe in einer Blase. In meiner Welt dreht sich alles um Musik, deshalb seh ich das vielleicht verklärt. Wir haben in diesem Land überhaupt eine unglaubliche Dichte an Künstlern. Und es ist ja auch kein Wunder: Es ist genug Mist passiert. Und um sich da rauszustrudeln, muss man das, was im Argen liegt, niederschreiben. So wird Literatur daraus – oder eben Musik.
Bemühen wir das große Wort „Heimat“. Ohne Reibung ist diese Heimat nicht zu haben, oder?
ZAMERNIK: Nein, sicher nicht. Der Schmerz gehört dazu. Aber es kann auch ein genussvoller Schmerz sein.
Wie viel Österreicher steckt in Ihnen selbst?
ZAMERNIK: Ich bin genauso viel Weltbürger wie ich Österreicher bin, und ich denk auch nicht daran, es nur den Nationalisten zu überlassen, sich als Österreicher zu fühlen. Das muss man sich halt zurückerobern: Man kann auch für eine Nation stehen, ohne Nationalist zu sein. Was sich bei mir sicher nicht einschleicht, ist der Stolz, der verdammte Nationalstolz. Den dürfen die Rechten ganz für sich alleine haben.
Wenn Sie eine Filmmusik über Österreich schreiben würden, wie würde diese Musik klingen?
ZAMERNIK: Es würde siaßlat, also süßlich-scheinheilig, beginnen. Eine ernste Melodie würde sich langsam einschleichen und das Ganze zu einem existenziellen Manifest verdichten. Dann kämen die melancholischen Geigen, die das Siaßlate und das Ernsthafte vertreiben. In dieser Melancholie würde ich im Selbstmitleid schwelgen. Die Melancholie hat den Vorteil, dass man dort Abgründe reinpacken kann, ohne dass es groß wehtut. Und dann, am Schluss, würden sich das Siaßlate, der Ernst und die Melancholie zu einer Kakophonie auftürmen, sich im Noise-Core zerstören und verlieren. Und ganz am Ende dieser Filmmusik würde noch ein sanfter Tontupfer kommen. So als Nachsatz: Hey, passt schon. Es ist eigentlich eh alles nicht so schlimm. So würde Österreich bei mir klingen.
Zur Person:
Herwig Zamernik, geb. 1973 in Wien, wuchs in Kärnten auf. Seit 2015 lebt er wieder in Wien. Als Musiker spielte er im Disharmonic Orchestra, bei Naked Lunch und nahm als Fuzzman mehrere Alben auf. Er ist auch Produzent, betreibt ein Studio und mit Partner Stefan Redelsteiner ein Plattenlabel.
CD-Tipp: Fuzzman: "Hände weg von allem" (Lotterlabel)