Von Mitte Juli bis Anfang November machen sich zahlreiche Zugvögel auf den Weg in ihre Winterquartiere, um Nahrung zu finden. Mauersegler können laut Christof Kuhn von der NGO Birdlife sogar bis zu zehn Monate durchfliegen.
Durch den Flug überwinden sie zahlreiche Hindernisse, die vielen anderen Arten zum Verhängnis werden können. Das Trittsteinbiotope-Programm will Österreichs Wälder miteinander vernetzen und einen Betrag zur Lösung dieses Problems liefern.
Österreich - eine Insellandschaft
„Unsere Landschaft ist für viele Arten wie eine Insellandschaft“, sagt der Ökologe und Wissenschaftler des Jahres 2022, Franz Essl. Denn Österreich ist zwar ein waldreiches Land, doch pro Tag wird auch eine Fläche so groß wie 16 Fußballfelder verbaut.
Straßen, Eisenbahnstrecken oder Siedlungen sind Hürden für bestimmte Arten, wie Käfer oder Kröten, und können zum Problem der Habitat-Fragmentierung führen. Das bedeutet, dass Lebensräume verkleinert und voneinander isoliert sind.
Was sind Trittsteinbiotope?
„Diese Distanz zwischen den Flächen ist insbesondere für wenig mobile Arten ein Problem, weil sie unüberwindbar sind“, sagt Janine Oettel, Projektleiterin des Trittsteinbiotope-Programms. Ein Teil der genetischen Information kann somit verloren gehen, weil Individuen nicht an der Fortpflanzung teilnehmen können.
„Das kann zu Inzucht-Effekten führen. Ein weiteres Risiko ist, dass sich die Arten dann schwerer an sich ändernde Umweltbedingungen anpassen können. Zum Beispiel ist die Anpassungsfähigkeit an höhere Temperaturen verringert. Langfristig gefährdet das, das Vorkommen einer Art“, so Essl.
Trittsteinbiotope wiederum sind Flächen, die Arten aufsuchen, um größere Lebensräume, wie Schutzgebiete, zu erreichen. „Man kann es sich vorstellen wie Trittsteine, die über einen Bach führen“, erklärt Oettel. Indem einzelne Flächen in Wäldern über einen Zeitraum von zehn bis zwanzig Jahren außer Nutzung gestellt, geschützt und wissenschaftlich beobachtet werden, sollen verschiedene Waldflächen miteinander vernetzt werden.
Zusammenarbeit mit Waldbesitzern
„Nur wenn Ökosystem wie Wälder in einem guten Zustand sind, können wir uns auch an den Rohstoffen bedienen“, sagt der Waldbesitzer Georg Kanz aus Kärnten. Er stellt eine Fläche von circa einem Hektar Wald für das Programm zur Verfügung. In den nächsten zehn Jahren wird er auf der betroffenen Fläche kein Holz ernten, bekommt dafür aber ein Entgelt.
Pro Hektar sind es maximal 2520 Euro für zehn Jahre oder 5040 Euro für 20 Jahre. Die Finanzierung des Projekts erfolgt über den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums und über den Waldfonds. Jeweils werden damit rund 2,3 Millionen Euro für die Flächen bereitgestellt.
„Wirtschaftlich wird die Teilnahme am Projekt kaum Auswirkungen haben“, sagt Kanz. Der Waldbesitzer findet gut, dass das Programm nicht von oben herab verordnet wird. Durch diese Entschädigung sei die naturschutzkonforme Nutzung für Waldbesitzer laut Essl attraktiver. „Wir werden dennoch nicht darum herumkommen, auch Naturschutzmaßnahmen zu verordnen und beides brauchen: Die Freiwilligkeit, aber auch die Vorgaben“, so Essl.
Biodiversität in den Wäldern Österreichs
Der Status der Biodiversität in Österreich ist laut Essl „recht betrüblich“. Es gibt zwar auch naturnahe Wälder in Österreich. „In vielen Wäldern fehlen aber Totholz oder Altbäume. Vor allem ganze Bäume, die lange liegen und vermodern, sind eine Rarität“, so Essl. Wirtschaftlich betrachtet hat Totholz einen geringen Wert, für die Biodiversität aber einen hohen.
„Fast ein Viertel aller im Wald vorkommenden Arten sind von Totholz abhängig“, sagt Oettel. Essl nennt als Beispiel den Hirschkäfer, der seine Larven in das Holz absterbender Eichen legt. Ein weiteres sind Spechte, die Höhlen in Altbäume schlagen. Schwarzspecht-Höhlen werden dann auch von Hohltauben weiter genutzt. Um Flächen mit hohem Biodiversitätswert zu finden, können Waldeigentümer ihre Fläche online bis 30. September melden.
Danach begutachtet das Trittsteinbiotope-Team, das derzeit aus 15 Personen besteht, die Flächen. Wenn sie geeignet sind, werden sie aufgenommen. „Uns interessiert dabei vor allem, wie sich die Flächen und das Artenspektrum durch die fehlende Bewirtschaftung verändert haben und ob die Flächen miteinander vernetzt sind, das heißt ihre Funktion als Trittsteinbiotop erfüllen“, schildert Oettel. Bisher wurden über 750 Flächen gemeldet und rund 200 eingerichtet.
Der Wert von gesunden Ökosystemen
„Es geht im Programm aber nicht nur um einzelne Arten, sondern um die Erhaltung des gesamten Ökosystems“, betont Oettel. Auch für uns Menschen sind gesunde Ökosysteme essenziell. Als Beispiel nennt sie Pilze, Insekten und Bakterien, die wesentlich an der Humusbildung beteiligt sind.
Diese sorgen für gesunde Waldböden, die wiederum die Grundlage für Pflanzenwachstum sind. „Der Wald ist auch bekannt für seine hohe Gesundheitswirkung. Ein gesundes Ökosystem kann damit auch gesundheitsfördernd für Menschen sein“, sagt Oettel.
"So lerne ich etwas Neues über meinen Wald"
Kanz macht beim Programm mit, weil seine Fläche über die zehn Jahre wissenschaftlich beobachtet wird. „So lerne ich etwas Neues über meinen Wald. Zum Beispiel welche Arten es dort gibt, die mir bisher vielleicht entgangen sind.“
Ein langfristiges Monitoring, also die Beobachtung der Flächen, ist laut Oettel aber auch für den Erfolg des Programms wichtig. Mit den Geldern der EU und des Waldfonds sei zwar das Entgelt für die Waldbesitzer abgedeckt, das Monitoring aber nicht. „Dieses Monitoring muss finanziell abgesichert sein und das hängt von unserer Einstellung zum Naturschutz ab“, so Oettel.
An der Hemmschwelle für Naturschutz sägen
Man würde glauben, dass Hindernisse in der Landschaft kein Problem für Zugvögel sind. „Aber auch für spezialisierte Zugvögel sind Trittsteinbiotope entlang ihres Zugpfades sehr wichtig“, sagt Kuhn. Ein bekanntes Beispiel für ein Trittsteinbiotop mit hoher Relevanz sei der Neusiedler See: „Dort finden sich jährlich im Frühjahr und Herbst Abertausende solcher Vögel am Durchzug ein, die Fische oder im Wasser lebende Insektenlarven fressen und daher auf solche Gewässer angewiesen sind“, so Kuhn.
Durch das Trittsteinbiotope-Programm könnte es in Zukunft also mehr Trittsteine in Wäldern geben. Georg Kanz erwartet sich von der Teilnahme am Projekt, dass sein Wald strukturreicher wird, mehr Arten darin Platz finden und wünscht sich, dass durch Programme wie diese, die Hemmschwelle für Naturschutz abgebaut wird: „Es kann nur funktionieren, wenn wir alle an einem Strang ziehen. Nur so bleibt der Wald gesund und wir fit für die Zukunft“, so der Waldbesitzer.
Sandra Czadul