Vor Kurzem warst du auf Pressereise in Straßburg …

LIONEL KOLLER: LÜGENPRESSE! (lacht)

Du hast das Europäische Parlament besucht. Wie wichtig ist dir die EU und Politik generell?

Ich habe nicht den kompletten weltpolitischen Überblick und auch sicher bei der EU noch die eine oder andere Wissenslücke. Trotzdem gibt es gewisse Themen, die mir sehr am Herzen liegen. Unter anderem, weil sie mich persönlich betreffen.

Welche zum Beispiel?

Das sind Themen wie Migrationshintergrund, Queersein, aber auch Themen, die mich als regulärer Bürger betreffen. Also Inflation zum Beispiel. Dementsprechend ist es wichtig, sich zu engagieren, sich zu informieren und sich dann eine Meinung zu bilden. Wir haben das tolle Recht, zu wählen, und sollten auch davon Gebrauch machen, weil es das tägliche Leben beeinflusst.

Und wie stehst du zur EU?

Bei dem Thema bin ich zwiegespalten. Es gibt Dinge, die uns Europäerinnen und Europäer in eine privilegierte Lage versetzen, aber es gibt auch Dinge, die meiner Meinung nach zu kurz kommen. Zum Beispiel ein stärkerer Diskriminierungsschutz für queere Personen, vor allem im privaten Bereich. Da gibt es bisher keine handfesten Bestrebungen. Das betrifft mich auch.

Inwiefern?

Ich werde manchmal im Alltag beleidigt und man könnte mich aus einem Geschäftslokal verweisen, einfach weil ich schwul bin und es keine Gesetzesgebung gibt, die den Verweis verbieten würde. Da würde ich mir mehr wünschen.

Wozu hast du die restliche Zeit in Straßburg genutzt?

Sitzungen mitverfolgen, gestresste EU-Abgeordnete beobachten, mich in der vollen Kantine von gestressten EU-Abgeordneten schubsen lassen und das Leben aus Sicht einer Person im unübersichtlichen EU-Parlament genießen. Und: Käse essen und mich darüber aufregen, dass er so im Magen liegt.

Von Käse zu Wurst: Du selbst sagst, dass dein TikTok- und Instagram-Name, Wurstaufschnitt, keine tiefgründige Bedeutung hat. Generell hast du deine Social-Media-Karriere aus Langeweile gestartet. Wie ernst nimmst du deinen Job als Content-Creator heute?

Tatsächlich mache ich das nach Lust und Laune. Ich bin in einer privilegierten Situation, habe einen Vollzeitjob als UX-Designer, der mir auch noch Spaß macht. Ich kann mir aussuchen, wie viel ich in Content-Creation investiere.

Aktuell postest du nicht so viel ...

Aktuell habe ich das Gefühl, dass ich mich mit meinen Themen im Kreis drehe. Ich merke schon, dass es auch an meinem Ego kratzt, wenn der Algorithmus entscheidet, dass er mich nicht mehr lieb hat. Aber ich komme darüber hinweg. Schwieriger ist es, wenn man zu 100 Prozent davon abhängig ist, da kenne ich einige Leute, die das Vollzeit machen.

Video: "Wurstaufschnitt" auf Besuch in Straßburg

Auf Events triffst du wahrscheinlich auch auf Vollzeitinfluencer. Wie ist das so?

Ich war zu einer Lokaleröffnung eingeladen und es war das erste und letzte Mal, dass ich zu so etwas zugesagt habe. Eine Person, die ich nicht kannte, ist dort auf mich zugekommen und hat gefragt, wie viele Follower ich habe. Damals waren es noch unter 10.000 und daraufhin hat sich ihre Mimik komplett versteinert, sie hat sich umgedreht und ist wortlos gegangen. Sie hat dann herumgefragt, bis sie eine mit 800.000 Follower gefunden hat und auf der ist sie den ganzen Abend gepickt. Das fand ich doch sehr skurril und extrem unmenschlich. Was sagt so eine virtuelle Zahl über dich aus? Noch dazu, wenn man sich Follower ja theoretisch einkaufen kann.

Wie nachhaltig ist Social Media generell als Einnahmequelle?

Wenn ich jede Kooperation annehmen würde, könnte ich davon leben. Aber dann müsste ich auch Werbung für Pampers und Klopapier machen. Ich habe mich früh dafür entschieden, in den wenigsten Fällen Kooperationen einzugehen, und zwar nur dann, wenn es einen gesellschaftlichen Mehrwert gibt. Es muss Werbung sein, die sich mit meinem Content vereinbaren lässt, sonst wäre es scheinheilig.

Welche Kooperation steht als Nächstes an?

Ich habe kürzlich entschieden, gar keine Kooperationen mehr zu machen, weil ich mich mehr auf mein Kabarett und Stand-up-Comedy konzentrieren will. Im Feber ist meine erste große Show geplant.

Mit deinem Content greifst du gesellschaftskritische Themen auf. Wie überträgst du deine Botschaften in die Offline-Welt?

Ich versuche tatsächlich, mit meinem Stand-up-Programm auch zum Nachdenken anzuregen. Es ist gar nicht so einfach, etwas Ernstes in etwas Lustiges umzuwandeln. Im Internet hast du 15 Sekunden Zeit und ich bin inzwischen ganz gut darin, es auf den Punkt zu bringen. In einem einstündigen Programm ist es was anderes und ich bin da noch in der Erkundungsphase.

Wirst du oft auf der Straße erkannt?

In Wien passiert mir das immer wieder. Beim Frequency-Festival ist das sogar im Viertelstundentakt passiert. Ich finde das ganz nett und bin auch bereit, Fotos zu machen. Aber, wenn ich keinen Bock mehr habe, tue ich so, als wäre ich das nicht, und sage, dass das mein böser Zwillingsbruder ist. Oder ich sage, ich kann kein Foto machen, weil ich im Krankenstand bin und nicht gekündigt werden will. (lacht)

Hast du schon einmal vor einem Livepublikum performt?

Mittlerweile hatte ich schon mehrere Auftritte im 15-Minuten-Bereich. Die sofortige Resonanz in Form eines Lachens oder auch Stille im Publikum, das sind so die Extreme, die man erlebt. Im Internet habe ich mittlerweile Scheuklappen auf, da lese ich in den seltensten Fällen Kommentare durch. Aber auf der Bühne fühlt man sich richtig nackt, weil die Ideen ja auf Dingen basieren, die ich selbst erlebt habe – also Queerness, meinem Migrationshintergrund, meinem Alltag. Je authentischer, desto lustiger finden es die Leute. Das ist dann eigenartig, wenn man sein Innerstes preisgibt und keiner lacht. Aber dadurch weiß man auch, was man beim nächsten Mal besser machen kann.

Stichwort Migrationshintergrund: Wie oft erlebst du Alltagsrassismus?

Je länger mein Bart, desto öfter. Ich bin hier geboren, aber habe einen ostasiatischen Hintergrund. Leute auf der Straße haben mir schon "Scheiß Moslem" nachgeschrien, und ich denke nur so: "Wie kommst du drauf, dass ich der muslimischen Religion angehöre, nur weil ich einen Bart habe?" Das sind pauschalisierende Gedanken mit vielen negativen Emotionen, die sich in konservativen Köpfen verankert haben.

Wie reagierst du in solchen Situationen?

Eine Zeit lang bin ich von Wien nach St. Pölten gependelt und da kam es tatsächlich einmal im Monat vor, dass ich als Einziger im vollen Wagen der Polizei meinen Ausweis herzeigen musste. Das ist ein klares Zeichen von Racial Profiling (Anmerkung: Dabei werden Menschen aufgrund ihres Erscheinungsbildes bzw. aufgrund ethnischer Merkmale überdurchschnittlich oft kontrolliert). Bei einer Polizeikontrolle versuche ich, ruhig zu sein, weil ich schon öfter gehört habe, dass das schnell eskalieren kann. Mir ist klar, dass man da auch die Fassung verlieren kann, weil es belastend ist. Glücklicherweise habe ich meine Emotionen gut unter Kontrolle. Interessant ist aber: Sobald sie meinen Ausweis und meinen österreichischen Nachnamen sehen, ist die Kontrolle vorbei.

Was machen solche Zwischenfälle mit dir?

Generell fühle ich mich weniger asiatisch als europäisch, weil ich in Europa aufgewachsen bin. Das zeigt, dass ich mich zwar wie eine westeuropäische Person fühlen kann, aber ein Teil der Gesellschaft wird mich so nie wahrnehmen und daran wird sich so schnell auch nichts ändern.

Gibt es trotzdem einen Lichtblick?

Ich traue mich da nicht, eine Prognose zu stellen, aber wir dürfen trotzdem nicht den Mut verlieren, müssen zusammenhalten und sollten nicht durch das, was Ultrakonservative wollen, eingeschüchtert werden. Denn nur so wird man gehört.

Hinweis: Die Reise nach Straßburg war eine Einladung des Europäischen Parlaments, Verbindungsbüro Wien.