Noch immer gilt ein Grazer Pärchen bei den schweren Überschwemmungen in Griechenland als vermisst. Die Frau und der Mann – beide 35 Jahre alt – verbrachten in einem Ferienhaus im Küstenort Potistika in der Region Pilion ihre Flitterwochen. Sie hatten sich in Griechenland das Jawort gegeben, seit Jahren urlauben die Grazer in dem Ort. Anfang dieser Woche bestand das letzte Mal Kontakt zwischen dem Paar und seiner Familie. Am Freitagvormittag gab es vonseiten des Außenministeriums noch keine neuen Informationen, im Laufe des Vormittags ist aber ein Termin mit allen beteiligten Behörden vereinbart, danach könnte es ein Update geben.
Zuerst berichteten griechische Medien, etwa das Portal "ekathimerini.com". Am Freitag hieß es dann vom Außenministerium: "Zum aktuellen Zeitpunkt müssen wir leider bestätigen, dass zwei österreichische Staatsbürger am von den Unwettern stark betroffenen Pilion vermisst werden. Die österreichische Botschaft in Athen und das Honorarkonsulat in Volos stehen in laufendem Kontakt mit den lokalen Behörden, um die Suche nach den Vermissten bestmöglich zu unterstützen", so das Außenministerium gegenüber der APA.
Schwere Überschwemmungen nach Hitze und Dürre in Griechenland
Unterkunft von Grazer Paar weggeschwemmt
Thanasis Samaras, der Besitzer der Unterkunft, erzählte der BBC, er sei mit anderen Gästen auf einen Hügel geflohen und hatte dem Paar geraten, es ihnen gleichzutun. Die beiden Grazer hätten sich aber dagegen entschieden, mitzugehen. Laut Samaras wollten sie das Unwetter in ihrer Unterkunft aussitzen.
Der gesamte Bungalow soll von einer Sturzflut mitgerissen und ins Meer gespült worden sein, wird Samaras durch die BBC weiter zitiert. Seither fehlt von den Grazern jede Spur.
"Ich kann es nicht glauben. Die jungen Leute kamen vor drei Wochen hierher und heirateten gleich nach ihrer Ankunft in Argalasti. Sie sind schon oft in den Ferien hierhergekommen und sind im gleichen Alter, etwa 35 Jahre alt", sagte der Besitzer der Unterkunft dem Nachrichtenportal.
Gerade die Region Pilion ist derzeit sehr schwer zu erreichen, heißt es vom Außenministerium. "Es ist eine sehr unübersichtliche Lage", so Sprecherin Antonia Praun.
"Unwahrscheinlich, was Wasser alles anrichten kann"
Ganz in der Nähe – südlich von Volos – steckt gerade der Grazer Heinz Klinger mit seiner Frau bei griechischen Freunden fest. Der Arzt schildert: "Wir sind mehr oder weniger abgeschnitten von der Außenwelt, sämtliche Straßen sind weggerissen und wir dürfen nicht hinaus, die Behörden haben Ausgangssperre verordnet, damit die Einsatzkräfte arbeiten können." Tag und Nacht habe es drei Tage lang gewittert und in Massen geregnet. "Die Bucht, an der das Haus liegt, hat keinen Strand mehr. Braune Flüsse haben sich da hinein ergossen. Es ist unheimlich."
Die Lebensmittel müssen der 76-Jährige, seine Frau (65) und die Freunde gerade rationieren. "Wir wissen nicht, wie lange das jetzt dauert, wir teilen uns zum Beispiel das Brot auf." Trotz der Umstände gehe es allen soweit gut. Über das Handy empfängt der Freund des Grazers immer wieder Nachrichten von den Behörden. So haben die Grazer auch von dem vermissten Pärchen erfahren. "Es ist unwahrscheinlich, was Wasser alles anrichten kann", zeigt sich Klinger betroffen.
Den Schreck hört man auch der Weststeirerin Irmgard Kober-Murg an. Sie war vor Kurzem mit ihrem Mann in Volos, hielt das Ausmaß der Katastrophe mit ihrer Kamera fest. "Es ist furchtbar. Es geht mir durch und durch, wenn ich daran denke, was das für die Menschen, für die Einwohner heißt."
Dramatische Situation im Griechenland
Die Situation rund um das Hochwasser in allen Gegenden Mittelgriechenlands hat sich am Donnerstag weiter verschärft. Wegen der schweren Regenfälle und Überschwemmungen ist die wichtigste Autobahnverbindung des Landes zwischen Athen und Thessaloniki seit dem späten Mittwochabend auf gut 200 Kilometern gesperrt. Auch die Bahn stellte die Zugfahrten zwischen den beiden Städten ein, wie griechische Medien Donnerstagfrüh berichteten. In Mittelgriechenland ist die Situation weiterhin dramatisch – es regnete die ganze Nacht.
Erstmals konnten Hubschrauber am Donnerstagnachmittag in die völlig überschwemmten Dörfer der Gemeinde Karditsa fliegen, um dort Menschen von Hausdächern zu retten; zuvor war das Unwetter zu stark. Auch das Militär wurde hinzugezogen und drang mit gepanzerten Fahrzeugen in unzugängliche Gegenden vor, wie griechische Medien berichteten. Das Extrem-Wetter soll spätestens an diesem Freitag vorbei sein, wie Meteorologen prognostizierten – die Schäden sind noch nicht abzusehen.
In den Städten Volos und Larisa war die Situation katastrophal. In Larisa waren nach den tagelangen Regenfällen rund 80 Menschen über 24 Stunden ohne Nahrung und Trinkwasser von den Fluten umzingelt, wie die Zeitung "To Proto Thema" berichtete. Schließlich sei ein Anrainer mit einem Traktor samt Anhänger gekommen und habe die Menschen in Sicherheit gebracht.
In der Hafenstadt Volos mit rund 150.000 Einwohnern hatten die starken Regenfälle unzählige Tonnen Matsch in die Straßen gespült. Autoverkehr blieb bis auf Weiteres verboten, um den Rettungskräften den Weg freizuhalten und weil Straßen überschwemmt oder weggespült waren. Strom- und Wasserversorgung waren bis zum Donnerstagabend noch nicht wieder hergestellt. Derweil gingen in den Supermärkten die Trinkwasser-Vorräte zur Neige; Bilder zeigten Schlangen von Menschen, die inmitten der Überschwemmung für ein paar Flaschen Wasser anstanden. Auch bei der Lebensmittelversorgung gebe es zunehmend Probleme, berichtete die Tageszeitung "Kathimerini".
Während der Rest Griechenlands – und auch der Tourismus dort – kaum betroffen sind, sollen in der Ferienregion Pilion in Thessalien rund 500 Urlaubsfamilien vom Wasser eingeschlossen sein. Das sagte der stellvertretende Bürgermeister von Süd-Pilion, Dimitris Parrisiadis, der "Kathimerini". Die Zerstörung sei riesig und die meisten Dörfer noch vom Wasser abgeschnitten. "Ich schätze, dass sich im Süden von Pilio noch rund 500 Familien griechischer und ausländischer Touristen aufhalten und nicht wegkönnen."
Zur Zahl der Vermissten gab es keine Angaben von Feuerwehr und Polizei. Dies sei nicht möglich, weil man noch gar nicht zu den eingeschlossenen Ortschaften vorgedrungen sei, hieß es. Da die Menschen dort ohne Strom und mittlerweile auch ohne Handy-Akku ausharren und nicht mit der Außenwelt kommunizieren können, ist nicht bekannt, wer vermisst wird.
Die Zahl der Todesopfer in der Westtürkei stieg nach den dortigen Überschwemmungen auf acht. In der Provinz Kirklareli nahe der Grenze zu Griechenland und Bulgarien sei die Leiche eines 53-jährigen Mannes geborgen worden, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu am Donnerstag. Der Mann sei tot in seinem Auto aufgefunden worden. Innenminister Ali Yerlikaya schrieb auf der Plattform X (vormals Twitter), die Suche nach Vermissten sei damit abgeschlossen.
Am Dienstag war es nach Starkregen zu Überschwemmungen in der griechischen Grenzregion sowie in der Millionenmetropole Istanbul gekommen. In der Provinz Kirklareli kamen insgesamt sechs Menschen ums Leben, in Istanbul zwei. Die Wetterbehörde warnte, am Donnerstagabend könne es zu weiterem Starkregen in der Westtürkei und am Schwarzen Meer kommen.
Feuerwehr: "So etwas noch nie gesehen"
"So etwas haben wir noch nicht gesehen. Allein in der Nacht mussten wir 5000 Mal ausrücken, um Menschen zu helfen", sagte Feuerwehrsprecher Giorgos Artopoios im griechischen Radio. Zahlreiche Menschen seien mit Schlauchbooten von der Feuerwehr und dem Zivilschutz aus ihren umspülten Häusern in Sicherheit gebracht worden. Die Feuerwehr riet jenen, die in ihren Häusern festsitzen, sich in den oberen Stockwerken aufzuhalten. "Wir haben Verstärkung aus allen anderen Regionen Griechenlands geholt", sagte der Sprecher.
Besonders betroffen sind die Stadt und die Gemeinde Karditsa sowie die umliegenden Gemeinden. Dort reichte das Wasser vielerorts bis zu den Dächern der Häuser, sodass sich die Bewohner auf die Dächer retten mussten. "Das Wasser ist an manchen Stellen bis zu vier Meter hoch", sagte ein Anrainer dem Sender Mega.
Hubschrauber ohne Landefläche
Ihr Dorf sei unzugänglich, die ganze Ebene überflutet, Rettungskräfte könnten nicht kommen, berichteten die Bewohner Karditsas in griechischen Medien. "Vielleicht mit Hubschraubern, aber wo sollen sie landen? Es gibt kein Land!", sagte ein Mann.