Der Wiener Lorenz K. wurde 2018 zu neun Jahren Haft verurteilt. Die Gründe: Er plante einen Bombenanschlag auf einen deutschen US-Truppenstützpunkt und wollte einen damals Zwölfjährigen zu einem Selbstmordanschlag anstiften. Beide Pläne sind gescheitert. Nun wird ihm vorgeworfen, im Gefängnis erneut Anschlagspläne im Namen des "Islamischen Staates" (IS) verfolgt zu haben.
Mithilfe eines Handys soll der heute 24-Jährige in sozialen Medien terroristische Propaganda verbreitet haben. Diese Radikalisierung auf Plattformen wie TikTok sei ein großes Problem, heißt es von der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN). Besonders während der Coronapandemie habe dieser Trend, auch bei anderen extremistischen Gruppierungen wie Rechtsextremen, an Fahrt aufgenommen.
Die Strategien der Extremisten
Was Jugendliche auf sozialen Medien erleben, ist für Eltern oft nicht nachvollziehbar. In der islamistischen Szene wird aber meist über soziale Netzwerke wie TikTok, Telegram oder Instagram kommuniziert, erklärt der Terrorismusexperte Nicolas Stockhammer. Dabei wird laut DSN folgendermaßen vorgegangen:
Es werden eine moderne und junge Sprache verwendet, ein Popsong hinterlegt oder viral gegangene Hashtags genutzt, um die Reichweite von Videos zu erhöhen. Besonders der Algorithmus von TikTok trage zum Problem bei. Je länger man sich dort ein Video anschaut, desto schneller werden ähnliche Inhalte angezeigt. "Mit der Zeit wird der Horizont immer enger und es wird einem nichts anderes mehr vorgeschlagen", so die DSN.
Video: "Radikalisierte Töchter beim IS"
Ein weiterer Trick sei, Menschen für die eigenen Zwecke einzusetzen. Diese "Influencer Preacher" seien laut Stockhammer wie eine Einstiegsdroge, die für das "gute" Leben im Islam werben und zeigen, was man tun muss, um ein vermeintlich guter Muslim zu sein. Jugendliche würden sich an diese Personen oft mit simplen Fragen wenden, wie zum Beispiel: Darf ich mich während des Ramadans rasieren? "Irgendwann kommen dann Personen auf einen zu und fragen, ob man Teil einer Telegram-Gruppe für 'Auserwählte' werden möchte", erklärt Stockhammer.
Jugendliche im Fokus
Diese extremistischen Gruppen haben eines gemeinsam: "Sie alle propagieren ein sehr vereinfachtes, dichotomes Weltbild, wodurch Personen schnell in Feind oder Freund eingeteilt werden können", fasst Stockhammer zusammen. Experten beobachten schon länger, dass Täter im extremistischen Milieu immer jünger werden.
Das liege daran, dass sie einfacher zugänglich und "formbar" sind oder auch einen hohen Profilierungsdrang haben. Einen Zusammenhang zwischen der psychischen Verfassung und der Anfälligkeit für Propaganda gibt es auch: "Ich bin davon überzeugt, dass die Radikalisierung einer Person, die sich in einem psychischen Zerfall befindet, eine illusorische Möglichkeit bietet, diese Zerrissenheit aufzuhalten", erklärt der Psychoanalytiker Jean-Luc Vannier.
Was sind Anzeichen für Extremismus?
Gerade bei Jugendlichen sei es schwierig, Anzeichen für Extremismus zu erkennen. "Abgrenzung, Provokation oder der Protest gegen Ungerechtigkeiten, die ja auch real existieren, gehört zum Erwachsenwerden dazu", erklärt die Leiterin der "Beratungsstelle Extremismus" Verena Fabris. Dieses Unmutsgefühl würde gezielt von extremistischen Gruppierungen genutzt werden.
Anzeichen für Extremismus sind Wesens- oder Verhaltensänderungen, aber auch eine andere Kleidung oder die Vernachlässigung von Hobbys, die lange einen hohen Stellenwert hatten. Auch das Abwenden vom sozialen Umfeld könne ein Hinweis auf eine Radikalisierungsentwicklung sein. "Wenn in Summe mehrere Faktoren zusammenkommen, wie ein veränderter Umgang mit der Familie, schwindende Toleranz oder die Abwertung von Andersdenkenden, kann das ein Alarmsignal sein", so die DSN.
Was können Eltern tun?
Rund ein Viertel der Menschen, die sich bei der "Beratungsstelle Extremismus" melden, sind Angehörige. "Oft heißt es: Ich erkenne mein Kind nicht wieder", sagt Fabris. Wichtig sei, den Kontakt mit der Person zu halten. Verbote oder Überreaktion seien nicht zielführend, da so die Vertrauensbasis bröckeln könnte. Der nächste Schritt sei, sich Hilfe zu holen: "Je früher im Prozess, desto leichter gelingt der Ausstieg", heißt es vom Staatsschutz.
Bei der "Beratungsstelle Extremismus" kann man sich anonym, auf unterschiedlichen Kanälen und in mehreren Sprachen beraten lassen. Dort wird die Situation analysiert, vor allem gehe es um die Gefühlsebene und Geschichte der Person, um herauszufinden, was Gründe für den Anschluss an eine extremistische Gruppe gewesen sein könnten. Die Dekonstruktion einer Ideologie folge erst, wenn eine Beziehung aufgebaut wurde. "Eltern können das nicht leisten, sondern nur geschulte Personen. Wichtig ist auch: Es funktioniert nur, wenn die betroffene Person es selbst will", sagt Fabris.
Sandra Czadul