Am 10. September jährt sich der Todestag von Kaiserin Elisabeth zum 125. Mal: Wieso gibt es noch immer einen Sisi-Boom?
KATRIN UNTERREINER: Das hängt wohl auch mit den vielen Serien zusammen, die es aktuell auf Netflix oder bei RTL gibt. Zu Lebzeiten hat Kaiserin Elisabeth keine bedeutende Rolle gespielt. Doch ihre ambivalente Persönlichkeit macht bis heute noch immer neugierig. Sisi hatte Ecken und Kanten. Wobei sich die meisten nur mit dem Mythos Sisi auseinandersetzen wollen, und nicht mit der historischen Figur.
In Sisis Reiseapotheke auf ihrer letzten Reise nach Genf, wo das Attentat auf sie verübt wurde, befand sich auch eine Kokain-Spritze. War Sisi drogensüchtig?
Eher nicht, aber wir wissen, dass sie Kokain genommen hat. In ihrer Reiseapotheke war nicht nur ein Fläschchen mit Kokainlösung, sondern auch ein Etui mit einer Kokainspritze. Allerdings: Kokain war damals in jeder Apotheke als Schmerzmittel zu haben, es war noch nicht als Suchtmittel eingestuft. Sogar kleine Kinder bekamen Kokain, wenn sie gezahnt haben. Und Sigmund Freud war derjenige, der die psychoaktive Wirkung von intravenös verabreichtem Kokain erforschte. Er hat es vielen Patientinnen bei körperlichen und emotionalen Erschöpfungen verschrieben, also wenn sie Depressionen hatten. Auch Sisi hatte Depressionen, damals nannte man es Melancholie.
Hängt das mit dem Tod ihres Sohnes Kronprinz Rudolf zusammen, der sich das Leben nahm?
Die Depressionen hatte sie schon früher. Die Ursache für ihre Verstimmungen war eher, dass sie das Reiten, das sie ja wie einen Hochleistungssport betrieben hatte, gesundheitlich bedingt aufgeben musste und ihre Reitpferde hergab. Es gibt wenig Hinweise, dass sie sehr darunter gelitten hätte, dass sie zu ihren älteren Kindern keinen guten Kontakt hatte.
Sie kennen fast jede Facette Sisis: Was fasziniert Sie speziell?
Mir ging es immer um die Gegenüberstellung des Mythos Sisi und der echten historischen Person. Und da fasziniert schon die Ambivalenz, das Nicht-Fassbaredieser Frau. Das zeigt sich schon bei ihrem Aussehen. Kaiserin Elisabeth war nicht das, was man klassisch schön nennt, aber die Menschen waren fasziniert von ihrer Ausstrahlung und von ihrer geheimnisvollen Aura.
Woher rührte Sisis Faible für Mystik und Spiritismus?
Das war eine Modeerscheinung: Tischerlrücken, Geisterbeschwörungen waren damals modern unter Aristokraten. Kaiser Franz Joseph hat ihr auch jeden Spleen finanziert. Und Sisi hat diesbezüglich auch alle Vorzüge eines Lebens als Kaiserin ausgekostet, vor den Unannehmlichkeiten hat sie sich gedrückt. Problematisch an Sisi war zudem, dass sie sehr sprunghaft in ihren Interessen war. Sie blieb nie lange bei der Sache, ging nie in die Tiefe. Sie hatte auch nie ein Lebensthema, eine besondere Aufgabe im Laufe ihres Lebens, und das hat zu einer großen Unzufriedenheit in ihr geführt.
Hat sich Sisi verzettelt?
Ja, und sie hat auch nichts gefunden, was sie erfüllt hätte. Ihre Rolle als Kaiserin war es nicht, die Eherolle war ihr egal, wie auch die Mutterrolle.
War ihr der Sinn abhandengekommen?
Sie war immer eine Sinnsuchende. Sie hat sich aber auch gern als Opfer inszeniert, was dazu führte, dass sie überhaupt nichts tun musste, aber alles tun konnte. Wenn man trotzdem keinen Inhalt findet, der einen mit Sinn erfüllt, bringt einem all das Geld und all die Freiheit überhaupt nichts.
Hat Sisi als historische Figur etwas bewirkt?
Leider gar nichts. Fälschlich wird sie immer als Feministin und Vorkämpferin für ein selbstbestimmtes Leben genannt. Elisabeth war, das muss man als Historikerin in aller Nüchternheit benennen, eine Egoistin und Egozentrikerin, die für sich alles in Anspruch genommen hat, aber noch nicht einmal ihre eigenen Schwestern unterstützt hat. Und weder Politik noch Gesellschaftspolitik interessierten sie.
Bei Sisis Nachkommen fällt Enkelin Elisabeth Petznek besonders auf, die Tochter von Kronprinz Rudolf. Nach dem Untergang des Kaiserreichs begann sie ein Leben in SPÖ-Kreisen und heiratete einen Vertreter der Wiener Arbeiterklasse. Wie kam das?
Sie war die Lieblingsenkelin von Kaiser Franz Joseph, wurde von ihm sehr verwöhnt. Aber wie ihr Vater war sie rebellisch. Sie hatte eine unglückliche erste Ehe, und nach der Scheidung wären die Kinder nach damaligem Gesetz zum Vater gekommen. Nicht zuletzt mit Hilfe der Sozialdemokraten blieben die Kinder bei ihr. Dafür revanchierte sie sich später. Sie öffnete ihren Schlosspark für Arbeiterkinder und ließ Menschen dort Gemüse anbauen.
Bruno Kreisky soll einmal gesagt haben, dass man ein gutes Politikverständnis nur von Arbeitern und von Hochadeligen lernen könne. Ist da was dran?
Ich vermute, dass er damit meinte, dass der Adel nicht nur in Legislaturperioden denkt, sondern generationenübergreifend. Simples Beispiel: Wenn man einen Wald rodet und wieder aufforstet, profitiert frühestens die nächste Generation davon. Es geht um ein Denken in längeren Zeiträumen, das auch der Gesellschaft zugute kommt.