18 Mal wurden Frauen in Österreich im heurigen Jahr bereits Opfer eines Femizids, kaum eine Woche vergeht ohne eine neuerliche Schreckensnachricht. "Zwischen 2008 und 2010 gab es jedes Jahr 13 Femizide beziehungsweise Mordversuche, jetzt übersteigt die Anzahl der getöteten Frauen allein schon diese Zahl", sagt Birgitt Haller vom Institut für Konfliktforschungin Wien. Die Expertin führt seit Jahren Studien zu Frauenmorden, Femiziden und Gewalt an Frauen durch, erst vor Kurzem präsentierte sie eine Studie unter dem Titel "Untersuchung Frauenmorde - eine quantitative und qualitative Analyse".

"Wir haben uns Akten von Verfahren angesehen, die zwischen 1. Jänner 2016 und 31. Dezember 2020 begannen, angeschaut", so die Expertin. In insgesamt 122 analysierten Akten wurden 100 Femizidopfer identifiziert. "Unter den Begriff Femizid fallen mehrheitlich Tötungsdelikte eines aktuellen oder früheren männlichen Intimpartners", erklärt Haller. Die Untersuchung ergab, dass zwischen 2016 und 2020 93 Täter 100 Mädchen und Frauen getötet hatten. Am höchsten war die Anzahl der Femizide 2017 und 2020 mit jeweils 23 Fällen. Die Hälfte der Verfahren waren beim Oberlandesgericht und der Oberstaatsanwaltschaft Wien anhängig, je ein Fünftel in Graz und Linz, einige wenige in Innsbruck.

Birgitt Haller forscht seit Langem zum Thema Frauenmorde und Femizid
Birgitt Haller forscht seit Langem zum Thema Frauenmorde und Femizid © Privat

Bei 21 von 100 Frauen war Gewalt aktenkundig

"Femizide und Gewalt gegen Frauen gibt es in jedem Milieu", so Haller. Ein hoher Anteil der Täter sei allerdings arbeitslos oder (früh)pensioniert, sagen die Statistiken. "Wir sprechen in der Studie von etwa der Hälfte", so die Wissenschafterin. So seien 22 der 93 Täter in Früh- oder Alterspension gewesen, 24 weitere waren arbeitslos. 36,6 Prozent oder 34 Personen befanden sich in einem Angestelltenverhältnis. "Dass Menschen schockierter sind, wenn jemand aus dem guten Mittelstand zu einem Täter wird, hängt mit unserem eigenen gefärbten Blick auf die Gesellschaft zusammen", so Haller.

42,1 Prozent der Femizid-Täter zwischen 2016 und 2020 hatten einen Migrationshintergrund, die restlichen Täter stammten aus Österreich. 57 Opfer befanden sich in einer Beziehung oder Ehe mit den Tätern, bei 17 handelte es sich um Ex-Beziehungen, ein geringer Anteil verteilte sich auf Verwandte, Bekanntschaften und Freunde. In einem Drittel der untersuchten Akten wurden Anzeichen für eine angestrebte oder vollzogene Trennung bestätigt, bei 20 weiteren Prozent gab es eine Trennungshistorie. Bei 21 Frauen war zudem Gewalt in der Beziehung aktenkundig.

Wenige nehmen Kontakt zu Gewaltschutzzentren auf

"Nur wenige Femizidopfer hatten vorab Kontakt mit Gewaltschutzeinrichtungen", weiß Haller. "Viele wissen nicht, welche Hilfe sie dort bekommen oder dass sie sich dort Hilfe holen können." Selten rufen die Verwandten beim Verdacht auf Gewalt die Polizei, meistens geschieht die Kontaktaufnahme durch die Opfer selbst. "Auch Nachbarn, denen etwas auffällt, melden sich bei der Exekutive."

Für die Eindämmung von Femiziden gebe es kein Universalrezept, so die Expertin, deren Studie unter anderem vom Innen- und Justizministerium und der Frauenministerin finanziert wurde. "Wichtig wäre, jeden Femizid im Nachhinein gemeinsam zu analysieren, mit allen relevanten Einrichtungen wie Gewaltschutzzentren und Polizei", so Haller. "Durch gegenseitige Kritik und Selbstkritik könnte man lernen, was übersehen wurde und welche blinden Flecken in Abläufen es noch gibt. Wenn damit nur eine Frau gerettet werden kann, ist das bereits ein Gewinn", so Haller und sieht diese Vorgehensweise als wichtige Ergänzung zu sogenannten sicherheitspolizeilichen Fallkonferenzen, die dazu da sind, Maßnahmen zwischen den zuständigen Behörden und Institutionen in sogenannten „Hochrisiko-Fällen“ zu koordinieren.